Material für die Schulung von Beratungslehrern 2012 im Auftrag der Bezirksregierung Düsseldorf  (c)  Werner Th. Jung

Einführung
Lehrer und insbesondere Beratungslehrer haben vielfältige Aufgaben. Neben der Durchführung guten Unterrichts müssen sie Schüler und Schülerinnen ( = SuS) wahrnehmen und für die Notengebung beobachten.
Das Problem ist, dass unsere normale Alltagswahrnehmung oft von Faktoren beeinflusst wird, die zu möglicherweise falschen pädagogischen Entscheidungen führen können. Das Entstehen von Vorurteilen gegenüber Schülern und Schülerinnen ist eine der problematischsten Aspekte im Bereich der familiären aber auch in der professionellen Erziehung, z.B. in der Schule.

Der folgende erste Teil wurde ursprünglich für SuS in der Höheren Berufsfachschule Soziales und Gesundheit (Anlage C) erstellt.
Der zweite Teil (ab Seite 19) stammt aus einer Vorlesung und Veröffentlichung von Professor Raatz, Uni Duisburg.


Teil 1: Beratung - was ist das?
Teil 2: Von der zufälligen Alltagswahrnehmung zur wissenschaftlichen (= systematischen) Beobachtung

Teil 3: Diagnose im Rahmen der Beratung (Grundlagen)

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Teil 1: Beratung - was ist das?

1.2. Fünf verschiedene Beratungsarten
a.) Beratung als Informationsvermittlung
b.) Beratung als direktive Einflussnahme (direktive Anweisung) z.B. bei Krankheiten
c.) Beratung zur Verhaltensänderung
d.) Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe
e.) Beratung als nicht-direktive Intervention
1.2.1. Beratung als Informationsvermittlung

Dies ist die simpelste Art der Beratung. Der Berater gibt direkte Auskunft auf direkte Fragen. Der Klient nimmt auf und gewichtet die Informationen.
Methode: Berater muss die Fragen möglichst verständlich und richtig beantworten.
Theorie: Informationstheorien (Kommunikationsmodelle) über die optimale Weitergabe von Information vom Sender zum Empfänger. Probleme können hier infolge des Transportes von Informationen entstehen. Daher kommt es bei der Informationsberatung darauf an, in einer präzisen, einfachen, ordentlich gegliederten, kurzen und prägnanten Art und Weise die Informationen zu geben.
Also: Bei der Informationsberatung besteht die Hilfe an den Klienten durch das Vermitteln von Informationen (so wie der Name es schon sagt). Mit den erhaltenen Informationen kann der Klient nun machen, was er will.

Merksatz - Verlauf einer Informationsberatung:
Kontaktaufnahme = > Gesprächseröffnung = > Anliegenerklärung = > Zielbestimmung = > Informationshilfe = > Gesprächsende!

1.2.2. Beratung als direktive Einflussnahme
Bei dieser Beratungsart ist der Berater aktiv, er lenkt und manipuliert. Der Klient ist passiv, glaubt und gehorcht. Der Berater ist Fachmann /-frau und steht im Mittelpunkt, der Klient tut, was der Berater sagt und darf nicht kritisch sein.
Methode: Überreden, drohen, bestrafen, bissige und zynische Bemerkungen zwecks Manipulation.
Vorteil: Bei Unmündigkeit oder mangelnder Beratbarkeit des Klienten muss manipuliert werden und direktiv gelenkt werden, um bei Gefahr schnell zu reagieren, oder das vom Klienten eigentlich gewollte Ziel zu erreichen. Beispiel: Asylbewerber, der in der Verfahrensberatung das Ziel des Hierbleibens in Deutschland erreichen will, aber den komplizierten, bürokratisch und gerichtlichen Verfahrensweg überhaupt nicht kennt.
Nachteil dieser Beratungsart: Der Klient kann zu leicht manipuliert werden, auch zu Dingen, die nicht gut für ihn sind (trotz guter Absichten des Beraters). Das Menschenbild geht von einem Menschen aus, der unmündig ist und Befehle empfangen muss.
Beratungstheorie: Psychoanalyse und Verhaltenstherapie.
Bei der direktiven Einflußnahme berät der Berater dadurch, daß er dem Klienten gezielt hilft. Dies geschieht durch konkrete Ratschläge: "Das müssen Sie so und so machen, ich gebe Ihnen jetzt einen guten Rat, befolgen Sie den bitte." Eine Steigerung ist sogar die aktive Hilfe durch Rat und Tat: "Ich mache das jetzt für Sie." Es wird als Experte geholfen, der Klient wird gelenkt und es wird ihm gezeigt, was er machen muss. Empfindungen beim Klienten in dieser Situation können Bedrängung, Manipulation und ähnliches sein, er muss allerdings den Rat annehmen, denn der Berater ist kompetent. Beispiel: Ein Asylbewerber, der wenige Wochen in Deutschland ist, soll einen Antrag auf Sozialhilfe ausfüllen und in seinem Sinne erfolgversprechend dem Sozialamt gegenüber vertreten. Unter dem Begriff direktive Beratung lassen sich natürlich verschiedene Nuancen und Abschwächungen sichtbar machen. Es ist ein Unterschied, ob dem Klienten gesagt wird: "Ich an Ihrer Stelle würde das so und so evtl. machen", oder: "Tun Sie das und das, wenn Sie das nicht machen, dann können Sie am besten gleich gehen, dann will ich nichts mehr mit Ihnen zu tun haben...".


1.2.3. Beratung zur Verhaltensänderung
Der Berater beobachtet vereinbarte Regeln und kontrolliert den Klienten. Der Klient kooperiert, er hält sich an die Regeln. Die Methode entspricht der Verhaltenstherapie, die Theorie dem Behaviorismus (operantes und klassisches Konditionieren)9
Das hier zugehörige Menschenbild, also das anthropologische Verständnis fließt meist implizit und ohne daß darüber viel nachgedacht wird, in die Formulierung angestrebter Beratungsziele ein. Außerdem beeinflußt das Menschenbild die Entscheidung über Erfolg bzw. Mißerfolg einer Intervention oder die Begründung einer Verhaltensänderung. Das Menschenbild, das z.B. von Skinner vertreten wird (jenseits von Freiheit und Würde), stößt auf heftige Kritik. Behaviorismus und humanistische Psychologie scheinen unvereinbar nebeneinander zu stehen. Behaviorismus hat ein eher mechanistisches Modell, es impliziert Stichworte wie "Kontrollierter, reaktiver Mensch", "Roboter", "Computer" usw., das organismische Modell der Humanisten eher das "aktive und autonome Mensch-Sein", "der Pilot".


1.2.4. Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe
Bei dieser Beratungsart regt der Berater zu kreativem Denken an und fördert die Entscheidungsfähigkeit. Der Klient wird angeregt zum Überlegen, lernt in Alternativen zu denken und sich zu entscheiden. Im Vordergrund steht hier die kognitive Ebene, also das Denken, nicht das Emotionale. Die Methode ist eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Klient und Berater im gedanklichen Bereich. Keiner steht im Mittelpunkt, beide sind gleich wichtig. Ein Beispiel für diese Beratungsmethode wäre das Schicken des Klienten in eine Selbsthilfegruppe. Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet: Ich zeige dem Klienten, wie man eine Lösung eines Problems findet, und wo man diese Information hierzu findet. Der Berater muss entbehrlich werden (Abstinenz bei der Psychoanalyse). Vorteil der Hilfe zur Selbsthilfe ist, daß das Selbsthilfepotential des Klienten aktiviert wird. Dadurch, daß er erfolgreich positiv an der Lösung des Problems arbeitet, entstehen positive Gefühle. Hierdurch kann Selbständigkeit für die Zukunft resultieren. Der Nachteil der Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe ist, dieser Beratungsprozeß kann sehr lang andauern, nicht jeder Klient ist zur Problembewältigung fähig und bereit, während der Beratung ist es nicht immer gut ersichtlich, ob die erklärten Schritte verstanden wurden.

1.2.5. Beratung als nicht-direktive Intervention
Bei dieser Beratungsart ist der Berater passiv, er wartet ab, ermuntert, hört aktiv zu und spiegelt die Aussagen des Klienten. Der Klient seinerseits erfaßt seine Probleme emotional, er reflektiert offen, er erkennt sich selbst, lernt, sich selbst zu helfen. Der methodische Hintergrund basiert auf die non-direktive Gesprächstherapie nach Carl Rogers. Als Basis ist die Persönlichkeitstherapie nach Carl Rogers zu sehen (Aktualisierungstendenz/Selbst-steuerungsfähigkeit positiv konstruktiver Charakter des Menschen). Man geht davon aus, daß bei der nicht-direktiven Intervention oder Beratung die positive Atmosphäre und die drei Therapeutenvariablen Wertschätzung, Echtheit, Verständnis, Empathie, das Selbstvertrauen des Klienten wachsen läßt und ihm mehr Kraft gibt. Das Menschenbild, das hinter der nicht-direktiven Beratung steht, geht von einem Menschen aus, der grundsätzlich positiv und konstruktiven Charakter hat. Fehlentwicklungen werden auf eine negative Umwelt zurückgeführt. Das Humanistische Menschenbild geht davon aus, daß im Rahmen der Aktualisierungstendenz jeder Mensch versucht, sich weiter zu entwickeln und eine größere Reife zu erlangen versucht. Darüber hinaus ist die Selbststeuerungsfähigkeit, also die Fähigkeit des Klienten, sein Handeln und seine Reaktionen zu steuern durch Bewußtmachung Handlungsmaxime. Der Berater verdeutlicht im Gespräch, daß er dem Klienten grundsätzlich positiv gegenüber steht. Das bedeutet aber nicht, daß er inhaltlich immer mit ihm übereinstimmen muss.
Wichtige Charakteristika der nicht-direktiven Intervention: Keine Ratschläge, nicht das Beste wissen, wenig Zustimmung oder Mißbilligung, nicht nach den Wertmaßstäben des Beraters urteilen, keine großen Verantwortlichkeitsgefühle gegenüber dem Klienten, keine besitzergreifende Sorge.


Nicht direktive Beratungstechniken:
1. Auf irgendeine Art und Weise wird das Gefühl oder die Einstellung, die der Klient gerade ausdrückt, anerkannt.
2. Der Berater interpretiert oder erkennt Gefühle oder Einstellungen an, die durch generelles Benehmen, spezifisches Verhalten oder vorher gegangene Feststellungen ausgedrückt werden.
3. Der nicht-direktive Berater bestimmt zwar das Thema des Gesprächs, aber die Entwicklung überläßt er dem Klienten.
4. Er erkennt den Inhalt dessen an, was der Klient gerade gesagt hat.
5. Der Berater stellt spezifische Fragen und beschränkt seine eigenen Antworten auf "Ja", "Nein" oder spezifische Information. Die nicht-direktive Beratung wird durch ein Überwiegen der Aktivität des Klienten gekennzeichnet. Die primären Techniken helfen dem Klienten, seine Gefühle, Einstellungen und Reaktionen klarer zu erkennen und zu verstehen und ermutigen ihn, über sie zu sprechen.
Aufgabenstellung für die Selbsteinschätzung:
Überlegen Sie, welche der 5 Beratungsarten Sie in Ihrer Tätigkeit in der Schule (ohne Unterricht) am häufigsten nutzen. Bilden Sie zunächst eine individuelle Rangreihe.

Wählen Sie dann die Beratungsart, die in Ihrer Rangreihe auf Platz 1 steht und kleben Sie auf dem aushängenden Poster den Klebepunkt auf das entsprechende Feld.

Anwendungsbezogene Aufgabe: Plenumsdiskussion

Diskutieren Sie wann, wo und welche der o.g Beratungsarten in Ihrer Schule in Zukunft sinnvoll eingesetzt werden könnten.
Diskutieren Sie unter Berücksichtigung Ihrer schulischen Rahmenbedingungen Vor- und Nachteile der jeweiligen Beratungsart.




2. Phasen des Beratungsprozesses -Orientierungsgerüst für Berater/ innen
1. Eröffnungsphase = > (Kontaktaufnahme, Klärung, des Beratungsanlasses (Ziele, Aufträge)
2. Diagnose= > (Klärung des Ist-Zustandes)
3. Gemeinsame von Lösungsmöglichkeiten = >
4. Empfehlung oder Entscheidung für Lösung = >
5. Abschluss des Beratungsgespräches, Verabschiedung !!!

Eröffnungsphase:
Aufgabe der Eröffnungsphase ist das gegenseitige Kennenlernen des Beraters und des Klienten und das Herstellen einer Vertrauensbasis. Die Vertrauensbasis ist unbedingt notwendig, da der Klient ein möglicherweise sehr intimes Problem schildern möchte. Er muss sich gegenüber dem Berater möglichst weit öffnen. Hierzu gehört, daß der Klient von Anfang an die Spielregeln des Beratungsgespräches kennenlernt. Der Berater sollte seine Rolle, Möglichkeiten und Grenzen schildern. Zur Vertrauensbildung des Klienten gehören folgende Dinge:
a) ansprechendes räumliches Ambiente, b) positives äußeres Erscheinungsbild des Beraters, c) bewußte Gestaltung der verbalen, paraverbalen und nonverbalen Signale durch den Berater.
Zwei Möglichkeiten der Eröffnung:
a) Beziehungsorientiert
b) Informationsorientiert
Beziehungsorientiert = Der Berater versucht zunächst in der Eröffnungsphase eine optimale Beziehung herzustellen. Schon in der allerersten Phase werden die Therapeutenvariablen zum "Einsatz" gebracht. Der Klient soll sich frei fühlen, erzählen können und sich in einer freundlichen Atmosphäre geborgen fühlen. Die Diagnose kommt später.
Informationsorientiert = Schon zu Beginn werden erst einmal alle Informationen gesammelt. Über das fragende Sammeln von Informationen kann man sich auch gut kennenlernen und auf dieser Basis dann die Beziehungsarbeit gestalten.

Merksatz:
Eröffnungsphase = Kennenlernen = > Vertrauen schaffen = > Klienten öffnen = > Klient motivieren = > Klient absichern.
Zur Absicherung des Klienten gehört es beispielsweise, ihm die Information zu geben, wie viel Zeit man für ihn hat.

Begrüßung:
"Guten Morgen Herr ..." (Klient mit Namen ansprechen) = > Hände schütteln, freundliches Lächeln = > Berater stellt sich namentlich vor = > Nennung der Funktion des Beraters (Sicherung des Klienten) = > eventuell ein- oder zweiminütige Small-Talk-Phase ("Haben Sie uns denn gut gefunden?") zum Abbau von Angst und Redehemmung beim Klienten = > verbale, offene Einleitungsformel48 ("Was führt Sie denn zu mir?") = > eventuell gemeinsame Planung des weiteren Vorgehens.

7.8.2. Schritte zur Sicherung des Klienten:
- Vorstellung des Beraters, Nennung seiner Möglichkeiten und Grenzen
- Small Talk - hilft Ängste abzubauen und ein gewisses Vertrauen zu schaffen
- Gemeinsam mit dem Klienten einen Plan für das weitere Vorgehen entwerfen (Tagesordnung)
- Hinweis auf zeitliche Begrenzung (45 - 60 Minuten)
- Hinweis auf Vertraulichkeit
- Dokumentationsmethoden des Beratungsgesprächs (Tonbandaufnahme, Mitschrift usw.) vorher mit dem Klienten absprechen.

7.8.3. Berateräußerungen in der mittleren Phase des Beratungsgespräches:
a) Klienten anregende Berateräußerungen:
- Paraphrasieren
- Reflektieren
- Resümieren
b) Informationsorientierte Berateräußerungen:
- Sondieren (W - Fragen)
- Akzentuieren (bestimmte Aspekte werden durch ein kurzes Wort hervorgehoben um hier mehr Informationen zu bekommen)
- Direkte Bitte um Erklärungen
Klientenanregende und informationsorientierte Berateräußerungen dienen dazu, im Mittelteil des Gespräches die notwendigen Informationen für den zukünftigen Beratungsablauf zu erhalten und den Klienten zu öffnen und anzuregen, über das Problem klar und deutlich nachzudenken (= Techniken der eher nicht direktiven Gesprächsführung).
Direktive, also den Klienten leitende Berateräußerungen:
"Ich, an Ihrer Stelle", "Vielleicht sollten Sie..." "Ich gebe Ihnen einen guten Rat".

Grund der Informationserhebung in der diagnostischen Phase:
a) Genaueres Kennenlernen des Problems des Klienten
b) Ursachenforschung des Problems
c) Randbedingungen eruieren
d) Vorbereitung für die Lösung des Problems

Liste von Inhalten für die Informationserhebung (Anamnese)
a.) Personalangaben (notwendig, um Verabredungen zu treffen oder Termine rückgängig zu machen, Anschreiben zu formulieren).
b.) Probleme des Klienten (Problemsymptome im Verhalten, Gedanken und Gefühlsbereich; Wann tritt wo und wie das Problem auf?)
c.) Gegenwärtige Lebenssituation (Schilderung eines typischen Tages, soziale Kontakte, Freizeit, schulische Situation, Verhältnis zu den Eltern, Geschwistern, Stabilität der Familie, Berufs-, Wohnortwechsel, Scheidung usw.)
d.) Persönliche Geschichte des Klienten (medizinische Gesichtspunkte, Schule, Militär, beruflicher Werdegang, Sexualleben und Partnerschaft)
e.) Lebensziele des Klienten
Zusätzliche Informationen:
Erscheinung des Klienten, Kleidung, Mimik Gestik, Verhalten, Sprache, Motivation
Aufgabenstellungen:

1. Gruppenbildung

Bilden Sie vier Vierer-Gruppen und eine Fünfer-Gruppe!

Zwei der Teilnehmer überlegen sich ein Beratungsgespräch unter Berücksichtigung der o.g. Phasen und spielen es den anderen, beobachtenden zwei bzw. drei Teilnehmern innerhalb der Gruppe vor.

Die Beobachter orientieren sich an folgenden Leitfragen:
- Sind alle Phasen eindeutig erkennbar gewesen?
- Welche Begriffe, Worte, Formulierungen bzw. non-verbale Signale machten Phasen und Phasenwechsel deutlich?
- Welche Probleme (zum Beispiel: Rückkehr zu vorherigen Phasen, usw.) gab es warum?


Anschließend tauschen sich die Beobachter über das Gesehene aus. In dieser Phase halten sich die Rollenspieler zurück.

Im nächsten Schritt können die Rollenspieler auf diesen Austausch reagieren.

3. Organisationsformen für Beratung
a) Einzelberatung, Partnerberatung und Familienberatung
b) Gruppen- und Großgruppenberatung
- homogene Gruppen
- heterogene Gruppen

7.7.1. Einzelberatung
Einzelberatung findet meist in entsprechenden Beratungsstellen statt, im Rahmen der Schullaufbahnberatung, teilweise auch Systemberatung. Sie ist meist eine Hilfe zur Selbsthilfe, hier können die Therapeutenvariablen, wie z.B. Empathie, am besten Handlungsbasis sein.

7.7.2. Partner- und Familienberatung
Partner- und Familienberatung stellen eine Ergänzung der Einzelberatung durch die Lebenspartner bzw. den familiären Umkreis dar. Auch hier kann der Berater individuell auf die jeweilige Problematik eingehen und optimal, also individuell, auf die Problematik der Klienten eingehen und durch seine Beratung Anreiz zur Hilfe als Selbsthilfe sein. Diese Partner- und Familienberatung geht weit über die reine Informationsvermittlung hinaus und auch hier sind die Therapeutenvariablen gut realisierbar. In der Partnerberatung kann durch die Intervention des Beraters echte Kommunikationsstörungen, wie oben dargestellt, erkannt, analysiert und bearbeitet werden. Geht es aber z.B. um den Gesundheitszustand eines der beiden Partner, so wird der andere Partner als Co- Berater gebraucht.
Beispiel: Ein Diabetiker muss nun seine Ernährung umstellen und, gemäß der traditionellen Rollenaufteilung, ist er vom Kochen und der Versorgung seiner Ehefrau "abhängig".
Da die Beratung diese tradierten Zusammenhänge wahrscheinlich kaum aufbrechen kann und will, ist die Ehefrau als Co- Beraterin (Köchin) nicht nur gefragt sondern entscheidend wichtig für eine zukünftige Diät.

3.3. Gruppenberatung
Je größer eine zu beratende Gruppe wird, desto schwieriger oder unmöglicher wird eine individuelle, problemlösende Hilfe zur Selbsthilfe sein. Jeder der Teilnehmer hat andere Probleme.
Je größer die Gruppe desto stärker die Informationskomponente.
Wenn es eine homogene Gruppe ist, die beraten wird, so handelt es sich um Teilnehmer, die das selbe Problem haben. (zehn bis 15 Personen) Hier kann man durchaus individuell auf gewisse Problematiken eingehen, da davon auch alle anderen Teilnehmer "etwas haben".
Je größer und heterogener eine Gruppe ist, desto allgemeiner muss die Beratung sein.
Würde im Rahmen einer solchen Gruppenberatung langatmig der Einzelfall diskutiert werden, so geschehe eine Einzelberatung in der große Schar von Zuhörern die sich fürchterlich langweilen und bald herummotzen würden.
Therapeutenvariablen + Gruppenberatung = Nonsens
Da es nun wahrlich nicht möglich ist in eine Gruppe, bzw. heterogene Gruppe, sich besonders stark einzufühlen. So etwas ist bestenfalls oberflächlich möglich. Ein echtes Verständnis für den einzelnen kann nur im Einzelgespräch gewonnen werden.
Merksatz: Je homogener eine Gruppe, desto spezieller und gezielter die Beratung.
Je heterogener eine Gruppe, desto allgemeiner die Beratung.
Gruppen- und Großgruppenberatungen sind sehr viel ökonomischer, als die Einzelberatungen. Sie sind besonders gut geeignet für die Informationsberatung oder der Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe im engeren Sinne.

3.4. Großgruppenberatung (Außentermine, zuführende Schulen, Einführungsveranstaltung, besondere Informationsveranstaltungen für Schüler und Eltern))
Dies sind Veranstaltungen mit vielleicht hundert bis zweihundert Zuhörern. Allerdings könnte eine Großgruppenberatung auch ein Fernseh- oder Radiovortrag sein.
Weitere Mittel zur Großgruppenberatung: Broschüre, Buch.
Großer Vorteil dieser Großgruppenberatung ist die optimale Ökonomie (Sparsamkeit). Mit wenig Aufwand werden viele Menschen informiert bzw. beraten. Eine optimale Kombination ist eine Gruppenberatung zur Informationsvermittlung mit anschließender Einzelberatung nach persönlichem Bedürfnis (ist in manchen Fernsehtalkshows auch wiederzufinden).

Aufgabenstellung:
Überlegen Sie sich Möglichkeiten, wie Sie die oben dargestellten Aspekte zu den Organisationsformen in ein Beratungskonzept Ihrer Schule integrieren können.
Beachten Sie beispielsweise folgende Fragestellungen:
a) Wie sollen Außentermine organisiert werden?
b) Wie sollen Informationsabende gestaltet werden?
c) Wie laden Sie Eltern von SuS zu Beratungsgesprächen ein?
d) Sie stellen im Rahmen Ihrer Beratungsarbeit fest, dass bestimmte Themen von den SuS sehr häufig nachgefragt werden (z.B. Schulwechsel, bestimmte Ausbildungswünsche, bestimmte psychosoziale Themen etc. ). Wie gehen Sie vor, um zukünftig effizienter zu arbeiten?
e) Wie organisieren Sie Ihre Einzelberatung? Beispiel: Wie gehen Sie mit Tür-und-Angel-Anfragen um?
Verschriftlichen Sie Ihre Überlegungen und legen Sie das Material in die Mitte des Raums auf dem Boden.
Schauen Sie sich anschließend im Rahmen eines "Schmöckerspaziergangs" die Ideen Ihrer Mit-Teilnehmer an und "honorieren" Sie besonders gute/ praktibale /an Ihrer Schule umsetzbare/neue Ideen, indem Sie ein Steinchen auf dieser Idee platzieren.
Wichtig:
Für den nächsten Termin bringen Sie bitte ein eventuell vorhandenes Beratungskonzept Ihrer Schule mit!

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Teil2: Von der zufälligen Alltagswahrnehmung zur wissenschaftlichen Beobachtung Ich glaube nur was ich sehen kann!


Ist diese Behauptung richtig und vernünftig? Sie provoziert zumindest zwei Fragen:
- Gibt es denn nicht mehr als das was wir sehen können?
- Sehen wir denn alle gleichermaßen perfekt die eine Wirklichkeit?

Die beiden Fragen sind durch folgende Argumente schnell beantwortet:

1. Jedes Liebespaar weiß, dass es mehr gibt als das, was für das Auge sichtbar ist. Dies sind z. B. Gefühle, Verliebtheit, Sehnsucht, Begehren und auch Ärger, Eifersucht und dergleichen. Es handelt sich hier um innerpsychische Prozesse, die für das menschliche Auge direkt nicht sichtbar werden. Allerdings gibt es Äußerungen und Auswirkungen dieser innerpsychischen Prozesse, die an die Oberfläche der sichtbaren Welt gelangen. Verliebtheit zeigt sich möglicherweise in Lächeln, freundliche strahlende Augen und in der sichtbaren Motivation nach körperlicher Nähe.

2. Verkehrsrichter können davon ein leidvolles Lied singen: Ein- und derselbe Verkehrsunfall, acht verschiedene Zeugenaussagen, davon einige sogar widersprüchlich. Die Tatsache, dass mehrere Zeugen, obwohl sie denselben Unfall beobachtet haben, sehr unterschiedliche Aussagen machen, basiert nicht nur auf die Tatsache, dass sie von unterschiedlichen Positionen aus alles beobachtet haben sondern auch aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen, Interessen und Wahrnehmungsfähigkeiten.
3. Die eine Zeugin war sehr in Gedanken versunken und hat nur einen Teilaspekt des Unfalls beobachtet, eine andere war abgelenkt, weil sie einen attraktiven Mann auf der anderen Straßenseite beobachtet hatte usw. Wenn man im Bus sitzt und verschiedenen Schülern und Schülerinnen zuhört, wie sie die Attraktivität von bekannten Popstars oder Mitschülern lauthals diskutieren, wird immer wieder klar, dass die Attraktivität unterschiedlich wahrgenommen wird. Dies hat mit Vorlieben, Vorerfahrungen und dem sozialen Kontext zu tun.

Auch die bekannten „optischen Täuschungen“ sind ein Hinweis darauf, dass unsere Wahrnehmung durch unsere Augen keine perfekte Realitätsabbildung sein kann. Zwei scheinbar unterschiedlich lange Linien, sind in Wirklichkeit, wenn man sie nachmisst, doch gleich lang, ein und dieselbe Zeichnung kann gleichermaßen eine Maus oder ein Kopf darstellen, wieder eine andere Täuschung entsteht, wenn zwei waagerechte Parallelen durch eingezeichnete Querstrahlen scheinbar gekrümmt sind usw.

9. Arbeitsaufgabe/Unterrichtsidee:
Recherchieren Sie im Internet unter dem Begriff „optische Täuschung“. Am besten benutzen Sie hierzu „Google/Bilder“ und kopieren einige auf Overhead-Folien.
Zeigen Sie diese optischen Täuschungen im Rahmen der Plenumsphase Ihren Mitschülern und lassen Sie diese jeweils ihre Wahrnehmungen schildern.

Weitere Suchbegriffe für die Suchmaschine im Internet können sein:
Müller-Lyersche Täuschung, Heringsche Täuschung, Ehrensteinsche Täuschung, Sandersche Täuschung, Mach‘sche Buch.

Variieren Sie ggfs. diese Suchbegriffe, indem Sie die jeweilige „sche-Endung“ weglassen.

Folgendes Beispiel verdeutlicht, wie Vorerfahrung die Wahrnehmung beeinflussen kann.

Zwei junge Frauen kommen in eine antik eingerichtete Gaststätte und bestellen ein Getränk. Anna verzieht nach wenigen Minuten das Gesicht und raunt zu ihrer Freundin: „Bah, hier stinkts aber eklig. Irgendwie nach Gas.“
Stefanie entgegnet mit freudigen Augen: „Wieso stinken? Das ist doch ein angenehmer, herrlicher Geruch, der erinnert mich an meine lieben Großeltern. Dort hat es auch immer so nach diesen alten Gasöfen gerochen.
Hmmh, das war so gemütlich und meine Großeltern hatten immer was Leckeres für mich.“

Ein und derselbe Geruch sorgt für unterschiedliche Wahrnehmungen und deren Interpretation. Hieraus wird also deutlich, dass unterschiedliche Wahrnehmungen und Schlüsse aus ein und derselben Situation bei zwei oder mehr Beobachtern entstehen können.
Definition: Wahrnehmung ist der Prozess, in den Energien aus der Umwelt und ggfs. aus dem Körperinneren des Beobachters auf Wahrnehmungsorgane (Auge, Ohr, Nase, Haut) treffen und über Nervenbahnen dem Gehirn zugeleitet und dort verarbeitet werden. Damit Wahrnehmungsreize an das Gehirn weitergeleitet werden, müssen sie eine Mindest-Reizintensität haben, die Wissenschaft spricht hier von der „absoluten Wahrnehmungsschwelle“. Reize, die zu schwach sind, werden nicht wahrgenommen und gehen verloren.

Oft ist es so, dass Reize dann wahrgenommen werden, wenn sie besonders intensiv und stärker als andere Reize sind. Nach diesem Prinzip arbeitet die Werbung. Durch besonders laute, farbige und sonstig auffallende Reize versucht die Werbung, das jeweilige Produkt in die Wahrnehmung des Konsumenten hinein zu bringen.

Auf den Bereich der Erziehung bezogen kann dies Folgendes bedeuten: Eine Erzieherin ist in besonderem Maße in ihrer Wahrnehmung beeinflusst durch einen kleinen Jungen, der sich besonders laut und lebhaft bewegt. Dieser Junge ist als Wahrnehmungsreiz intensiver und stärker als andere Kinder und verursacht daher besondere erzieherische Aktionen. Sind die Schlüsse bzw. Interpretationen dieser Wahrnehmungen durch die Erzieherin negativ, d. h. fühlt sie sich genervt, so können vorurteilsbeladene Erziehungsmethoden angewandt werden. „Marcel, jetzt sei doch endlich mal ruhig, Du nervst!“ Wenn die Erzieherin nicht nach dem Weshalb und Warum fragt, passen eventuell die Erziehungsmittel Schimpfen und Strafen nicht zur vorliegenden Problematik.
Hier ist also erkennbar, dass die pädagogische Wahrnehmung der Erzieherin durch den starken Reiz (= lauter Junge) so beeinflusst wird, dass sie falsche Erziehungsmittel wählt.

10. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den oben dargestellten Begriff mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Begriff veranschaulicht!


Wahrnehmungsfehler

Definition: Wahrnehmungsfehler sind Realitäten, die verhindern, dass eine realistische, möglichst wahrheitsgetreue Wahrnehmung stattfindet. Auswirkungen dieser Wahrnehmungsfehler sind im Bereich der Erziehung der Einsatz falscher Erziehungsmittel und falscher Erziehungsstile.

11. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den oben dargestellten Begriff mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Begriff veranschaulicht!


Wahrnehmungsfehler durch den sozialen Kontext

Wir nehmen Menschen unterschiedlich wahr, abhängig davon, ob wir sie als Berufskollegen, neue Bekannte im Freundeskreis oder zum Beispiel im Sportverein kennen lernen. Im Sportverein zählt die sportliche Leistung sicherlich mehr, als im Bereich des beruflichen Kollegiums. Dort wird der leistungsstarke Sportler sicherlich besser ankommen, als in einem Umfeld, in dem es nicht auf Sportlichkeit ankommt.

Definition: Wahrnehmungsfehler durch den sozialen Zusammenhang sind Fehler, die dafür sorgen, dass ein Mensch nur aufgrund ganz bestimmter Eigenschaften, die für den jeweiligen sozialen Zusammenhang wichtig sind, wahrgenommen wird und andere Fähigkeiten und Eigenschaften dabei für die Wahrnehmung verloren gehen.

Wenn wir z. B. einen Pastor sehen, so werden wir ihn und seine Äußerungen immer unter dem Aspekt Pastor wahrnehmen. Jede seiner Äußerungen und Verhaltensweisen wird gemessen an einem moralischen Erwartungshorizont, der mit dem Begriff Pastor übereinstimmt. Kleinste Verhaltensabweichungen, die bei anderen Menschen kein Problem wären, würden dem Pastor negativ angelastet werden.

Zum sozialen Kontext gehören
- die Reaktionsweise anderer Personen auf ein Individuum. Wenn er allgemein als freundlich und humorvoll empfangen wird, neigt man selber ebenfalls im Rahmen gruppendynamischer Prozesse zu einer derartigen Wahrnehmung und Beurteilung.

- die jeweilige Rolle, die ein Mensch aufgrund seines Berufes oder seines Lebensstiles inne hat. Besonders Äußerlichkeiten wie Uniformen reduzieren die Wahrnehmung auf wenige Aspekte.

Beispiel: Ein Zugbegleiter (Schaffner), gekleidet in einer Uniform, spricht uns in einem Zug an. Sofort wird unsere Wahrnehmung diesen Menschen ausschließlich auf seine Funktion als Fahrkartenkontrolleur reduzieren. Genauso geht es uns, wenn wir Menschen in der Fußgängerzone mit einem Bart und einem Turban sehen. Der Wahrnehmungsfehler liegt darin, dass wenige scheinbar sichtbare Eigenschaften auf die ganze Person bezogen werden und andere weniger sichtbare Eigenschaften und Fähigkeiten übersehen werden.

So wird z.B. einem großen breiten Mann körperliche Kraft zugeordnet, obwohl dies gar nicht der Wahrheit entsprechen muss.
Eine modisch gekleidete junge Frau wird zugleich als körperlich hygienisch einwandfrei, also sauber, eingeordnet. Dies muss aber nicht der Wirklichkeit entsprechend. Diese beschriebenen Beispiele werden von der Wissenschaft als logische Wahrnehmungsfehler bezeichnet.

Definition: Logische Wahrnehmungsfehler entstehen dort, wo einzelne Eigenschaften der Auslöser dafür sind, dass weitere, eigentlich nicht sichtbare oder nicht vorhandene Eigenschaften wahrgenommen bzw. vorausgesetzt werden.


12. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den „logische Wahrnehmungsfehler“ mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Fehler veranschaulicht!

Kontrastfehler

Definition: Kontrastfehler in der Wahrnehmung entstehen dort, wo bei Menschen Eigenschaften und Fähigkeiten wahrgenommen werden, die man selber nicht hat. Der Fehler liegt darin, dass diesen wahrgenommenen Eigenschaften zu viel Bedeutung zugebilligt wird.

Beispiel: Ein Mann ist handwerklich ungeschickt. Er lernt einen Kumpel kennen, der handwerklich sehr fähig ist. Möglicherweise stellt er diesen Kumpel zu sehr auf ein Podest, anstatt dass er auch andere Fähigkeiten, Eigenschaften und Schwächen dieses neuen Kumpels wahrnimmt.

13. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Kontrastfehler mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Fehler veranschaulicht!


Ähnlichkeitsfehler

Definition: Ein Ähnlichkeitsfehler in der Wahrnehmung findet dann statt, wenn man bei einem Menschen Fähigkeiten, Eigenschaften oder Schwächen wahrnimmt und überbewertet, die man selber ebenfalls hat und die man möglicherweise bei sich selbst nicht leiden kann.

Beispiel: Eine dominante Schülerin, die z. B. mit ihrem Lehrer nicht klar kommt und sich ihre eigene soziale Unfähigkeit nicht eingestehen will, sieht bei diesem Lehrer eine zu große Strenge.

14. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Ähnlichkeitsfehler mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Fehler veranschaulicht!


Wahrnehmungsfehler durch den ersten Eindruck (= Primacy-Effekt)

Definition: Der Primacy-Effekt bzw. der erste Eindruck ist die Bereitschaft, alle weiteren Wahrnehmungen auf Basis des ersten positiven oder negativen Eindrucks, den man von einem Menschen gewonnen hat, auszurichten. Der erste Eindruck zeichnet sich durch große Dauerhaftigkeit und Stabilität für weitere Wahrnehmungen aus.

Wir sind also geneigt, jemanden sehr schnell in eine Schublade zu stecken und alle anderen Wahrnehmungen in diese Schublade einzusortieren.

Beispiel: In einer Klasse kommt eine neue Schülerin. Sie ist modisch gekleidet, lächelt viel und zeigt sich hilfsbereit. Besonders in den ersten 20 Minuten kommt diese Schülerin sehr freundlich und charmant herüber. Die Bereitschaft von Mitschülern und Lehrern, diese Schülerin in eine positive Schublade zu stecken und von ihr größtenteils gute Leistungen zu erwarten, ist recht groß.

15. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Primacy-Effekt mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Wahrnehmungsfehler veranschaulicht!

Halo-Effekt

Definition: Merkmale, Fähigkeiten und Eigenschaften, die an einem bestimmten Menschen beobachtet werden, werden vom Beobachter auf andere Situationen, Fähigkeiten, Eigenschaften und Bereiche übertragen, obwohl dies nicht der Wirklichkeit entsprechen muss.

Beispiel: So werden beispielsweise bei einer Schülerin, die im Unterricht regelmäßig durch Seitengespräche stört, von vielen Lehrern überwiegend weitere negative Eigenschaften vermutet.
Schnell kann übersehen werden, dass diese Schülerin möglicherweise trotz vieler störender Seitengespräche auch viele gute mündliche Beiträge für den Unterricht bringt. Der Halo-Effekt kann in diesem Fall zu einer ungerechten Benotung der mündlichen Leistungen führen.

16. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Halo-Effekt mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Wahrnehmungsfehler veranschaulicht!

Wahrnehmungsfehler durch Sympathie und Antipathie

Definition: Wahrnehmungsfehler durch Sympathie und Antipathie entstehen dadurch, dass ein Mensch vom Beobachter als sehr sympathisch oder unsympathisch bewertet wird (z. B. dadurch, dass er an einen anderen Menschen erinnert) und deshalb aufgrund dieser vorherigen Einstufung alles andere von ihm positiv oder negativ bewertet wird. So können absolut identische Verhaltensweisen von einem sympathischen Menschen und einem unsympathischen Menschen vom Beobachter sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert werden.

17. Arbeitsaufgabe:
Erstellen Sie ein eigenes Beispiel, dass den Wahrnehmungsfehler durch Sympathie und Antipathie veranschaulicht!


Wahrnehmungsfehler durch Unvertrautheit und Unkenntnis

Definition: Wahrnehmung kann verfälscht werden, wenn ein Beobachter eine Gesamtsituation nicht richtig einschätzen kann und auch fachlich nicht verstehen kann. Die kognitiven Kapazitäten des Beobachters sind dann derart belagert, um die Situation zu verstehen, so dass viele Details übersehen werden.

Beispiel: Ein pädagogisch nicht ausgebildeter Mensch kommt in einen Klassenraum hinein und nimmt viele scheinbar wild miteinander sprechende Schüler und Schülerinnen wahr. Seine Wahrnehmung ist: Chaos. Menschen mit entsprechender pädagogischer Bildung nehmen aber sehr schnell wahr, dass es sich hier um eine Gruppenfindungssituation handelt, die bewusst vom Lehrpersonal veranlasst wird.

18. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Wahrnehmungsfehler durch Unvertrautheit und Unkenntnis mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Wahrnehmungsfehler veranschaulicht!


Wahrnehmungsfehler durch den Beobachter

Definition: Wahrnehmungsfehler durch den Beobachter entstehen dann, wenn die Anwesenheit des Beobachters das Verhalten der zu beobachtenden Menschen verändert.

Beispiel: Schüler verhalten sich anders, wenn sie sich vom Lehrer beobachtet fühlen als wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Manche Gespräche haben dann einen anderen Inhalt und eine andere Lautstärke.

19. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Wahrnehmungsfehler durch den Beobachter mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Wahrnehmungsfehler veranschaulicht!


Zusammenfassung der wichtigsten Wahrnehmungsfehler von Menschen

- Es werden nicht alle tatsächlich sichtbaren Verhaltensweisen, Eigenschaften und Fähigkeiten wahrgenommen sondern nur hervorstehende Eigenschaften.
- Die Wahrnehmung wird vom sozialen Kontext beeinflusst.
- Ein Mensch wird nicht in seiner Gesamtheit sondern als soziale Rolle wahrgenommen.
- Die Wahrnehmung wird durch einen logischen Fehler beeinflusst, in dem einer bestimmten Persönlichkeitseigenschaft weitere angeblich logisch dazu gehörende Eigenschaften mit wahrgenommen werden.
- Die Wahrnehmung wird durch einen Kontrastfehler beeinflusst, es werden die Fähigkeiten und Eigenschaften wahrgenommen, die man selber nicht hat.
- Die Wahrnehmung wir durch einen Ähnlichkeitsfehler beeinflusst, d. h. dass bei einem Menschen Fähigkeiten, Eigenschaften und Neigungen beobachtet werden, die man selber hat und möglicherweise an sich selbst nicht mag.
- Wahrnehmung wird durch den Primacy-Effekt (= erster Eindruck) langanhaltend vorher bestimmt.
- Ein Wahrnehmungsfehler entsteht durch den sogenannten Halo-Effekt, also die Bereitschaft Merkmale bei einer beobachteten Person auf andere Situationen und Bereiche zu übertragen.

20. Arbeitsaufgabe:
Erstellen Sie eine Mind Map zu dem Begriff Wahrnehmungsfehler nach den Mind-Mapping Regeln von Tony Byzan! Bitte benutzen Sie ein unliniertes DIN-A 3 Blatt! Die drei besten Mind Maps können im Klassenraum ausgehängt werden.


Vermeidung von Wahrnehmungsfehlern

Im normalen Alltagsleben und im Umgang mit Freunden, Familienangehörigen, aber auch beruflichen Kollegen, sollten die oben aufgelisteten Wahrnehmungsfehler so selten wie möglich geschehen, da sie die Basis von Missverständnissen, Streit und im politischen Bereich sogar von Krieg sein können.

Daher soll eine gute soziale Wahrnehmung immer selbst-reflexiv geschehen. Selbst-Reflexion meint hier eine selbstkritische Haltung, die im Bewusstsein der oben dargestellten Wahrnehmungsfehler geschieht. Wenn ich also nun weiß, dass Primacy-Effekt, logische Fehler, Kontrastfehler, Ähnlichkeitsfehler, Helo-Effekte usw. meine Wahrnehmung beeinflussen, dann reagiere ich sehr vorsichtig mit Interpretationen, halte mich damit möglichst lange zurück und hinterfrage meine Eindrücke.

Anders formuliert:

Ich versuche, Menschen, die ich kennen lerne, nicht sofort in eine Schublade zu stecken und wenn dies einmal geschehen ist, lasse ich sie immer wieder aus dieser Schublade heraus. Ich gebe jedem die Chance, durch veränderte Verhaltensweisen einen neuen Anfang zu machen.

Die wissenschaftlichen Waffen gegen Wahrnehmungsfehler: Operationalisierung, Validität, Reliabilität und Objektivität

Wie weiter oben schon festgestellt wurde, sorgen Wahrnehmungsfehler im Erziehungsprozess dazu, dass Erzieher die falschen Erziehungsmittel einsetzen und damit bei den Edukanden möglicherweise großes Unheil anrichten. Um dies in der professionellen Erziehung zu verhindern, sollen Jugendliche und Kinder nicht nur von einer mehr oder weniger zufälligen Alltagswahrnehmung betroffen sein sondern sie werden wissenschaftlich, also systematisch beobachtet.

Definition: Eine wissenschaftliche systematische Beobachtung ist eine zielorientierte hinterfragbare, kontrollierte exakte und von der Weltanschauung des Beobachters unabhängige durchgeführte Beobachtung eines Teilbereiches von Wirklichkeit mit dem Ziel, vorher festgelegte Fragestellungen zu beantworten.


21. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Fachbegriff „wissenschaftlich systematische Beobachtung“ mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Sachverhalt veranschaulicht!


Sichtbarmachung von diffusen Sachverhalten

Wenn Verhaltensweisen von Kindern systematisch beobachtet werden, dann müssen sich die Beobachter vorher auf eindeutige (also unstrittige) präzise und genaue Begriffe einigen, die sie beobachten wollen. Viele Sachverhalte werden erst erkennbar, wenn sie auf eindeutige sichtbare Prinzipien zurück geführt werden.



Durch operationale Definitionen entstehen aus der Beobachtungsfrage sichtbare Beobachtungskriterien,
also sichtbare Verhaltenskriterien


Beobachtungsgegenstand = Beobachtungsfrage



Beispiel: Der diffuse uneindeutige Begriff „Aggression“ wird erst beobachtbar, wenn zu
diesem Begriff sichtbare Verhaltensweisen wie Schlagen, Schreien, Schimpfen usw. festgelegt werden. In diesem Zusammenhang ist also der Begriff Aggression die Beobachtungsfrage bzw. der Beobachtungsgegenstand und die daraus resultierenden sichtbaren Phänomene wie Schlagen, Schimpfen usw. sind die daraus resultierenden sichtbaren Beobachtungskriterien. Beobachtungsfrage bzw. Gegenstand müssen in einem inneren logischen und eindeutigen Zusammenhang mit dem Beobachtungskriterium stehen. Dies ist eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben zur Erstellung eines Beobachtungsbogens, der z. B. ein Hilfsmittel für eine systematische Beobachtung sein kann. Die Formulierung von sichtbaren Beobachtungskriterien, abgeleitet von einer Beobachtungsfrage, nennt man operationale Definition.



Beobachtungsbogen
Beobachtungsgegenstand bzw. Beobachtungsfrage: Verhält sich Marcel im Kindergarten aggressiv?
Durch operationale Definition aus der Beobachtungsfrage resultierende Beobachtungskriterien (Verhaltensweisen):
Zeitraum
Schlagen
Schreien
Schlagen
Beleidigen
Treten
Kratzen
Freche Wort-wahl

Montag
06. 04.
8.00 –9.00














Dienstag
14. 4.
10.00 –11.00














Donnerstag
23. 4.
8.00 –9.00

















22. Arbeitsaufgabe:
Erstellen Sie einen ähnlichen Beobachtungsbogen zu der Beobachtungsfrage: Welche körperlichen Verhaltensauffälligkeiten zeigt Svenja (5 Jahre) im Kindergarten?

Definition: Die operationale Definition ist die Formulierung von sichtbaren Beobachtungskriterien, die dafür sorgen, dass ein ungenauer Begriff auf das sichtbare zurückgeführt wird.

Beispiel: Der Durst eines Babys, das noch nicht reden kann, wird durch die Art des Messens der Trinkmenge operational definiert. Durch die Angabe der verzehrten Flüssigkeit, die in einer bestimmten Zeit aufgenommen wird, verdeutlicht eindeutig den Durst eines Babys. Unterschiedliche Mengen an unterschiedlichen Tagen zeigen hier dann auf, wann das Kind mehr und wann weniger Durst hat.

23. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Fachbegriff „operationale Definition“ mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Sachverhalt veranschaulicht!

Beobachtungen müssen wissenschaftlich sein
Wichtig ist es, dass wissenschaftliche Beobachtungen so durchgeführt werden, dass sie wiederholbar sind und überprüft werden können. Dies gilt gleichermaßen für die pädagogischen Beobachtungen z. B. im Rahmen eines Kindergartens wie auch in einer wissenschaftlichen Forschung. Bei den Beobachtungen ist es wichtig, dass nicht aus Versehen etwas anderes beobachtet und wahrgenommen wird als das, was angegeben wird.

Anders formuliert:

Beobachtungsgegenstand und Beobachtungskriterien müssen wirklich zueinander passen und nicht im Gegensatz zueinander stehen.

Mehr Störche, mehr Babys –oder?
Beispiel: Ende des vorletzten Jahrhunderts stellten Forscher in Südschweden eine erhöhte Geburtenrate fest. Zeitgleich konnte man ein erhöhtes Aufkommen von Störchen feststellen.

Hätte nun ein Wissenschaftler daran geglaubt, dass Babys von den Störchen gebracht werden, so hätte er behaupten können, dass die erhöhte Zahl von Störchen auch für eine größere Anzahl von Kindern sorgt. Dieser Wissenschaftler hätte mit freudig seine Beobachtungszahlen präsentieren können und von einem wissenschaftlichen Ereignis reden können. Unser gesunder Menschenverstand weiß, dass dieser angenommene Wissenschaftler falsch läge.

Das Beobachtungskriterium Anzahl der Störche steht nicht in einem inneren logischen Zusammenhang mit der Beobachtungsfrage Anzahl der menschlichen Geburten. Dies in einen Zusammenhang zu bringen entspräche dem Forschungsfehler, etwas zu erforschen, was nicht mit der Angabe des Forschungsgegenstandes überein stimmt. Die Forschung wäre hier also nicht valide.

Validität

Definition: Validität ist die Gültigkeit, also die Übereinstimmung zwischen Beobachtungskriterium und Beobachtungsfrage. Ein Forscher arbeitet valide, wenn er tatsächlich Beobachtungskriterien auswählt, die das messen und beobachten, was er als Beobachtungsfrage angibt. Bzw. was er zu beobachten und zu messen angibt

Beispiel: Wenn ein Forscher beispielsweise den Beobachtungsgegenstand „logisches Denken“ angibt, so muss er tatsächlich Beobachtungskriterien auswählen, die das logische Denken und nicht etwa emotionale Fähigkeiten darstellen. So müsste er mathematische Fähigkeiten, Lösungskompetenzen von Rätseln usw. an Beobachtungskriterien festsetzen und nicht etwa Beobachtungskriterien, die etwas mit Gefühlen zu tun haben.

24. Arbeitsaufgabe:
- Formulieren Sie mindestens fünf Beobachtungskriterien, die zu der Beobachtungsfrage Kreativität passen. Diskutieren Sie in der Plenumsphase über Ihre Notizen.
- Erklären Sie den Unterschied zwischen Beobachtungsgegenstand und Beobachtungskriterium. Gehen Sie dabei auch darauf ein, was das eine mit dem anderen zu tun hat.
- Denken Sie sich eigene Beispiele aus, in der Forscher bzw. Beobachter das Prinzip der Validität beachten oder missachten.

Reliabilität (= Zuverlässigkeit, Genauigkeit)

Wissenschaftliche Beobachtung muss zuverlässig und genau sein. Wenn z. B. anhand eines Beobachtungsbogens die Beobachtungsfrage bzw. der Beobachtungsgegenstand Aggressivität untersucht wird und das Beobachtungskriterium Schlagen dokumentiert wird, so muss genau und exakt so oft ein Strich in den Beobachtungsbogen eingetragen werde wie tatsächlich das zu beobachtende Kind seine Aggressivität durch Schlagen zeigt. Wenn man hier unaufmerksam ist und den ein oder anderen Schlag übersieht, wird diese Beobachtung nicht reliabel.

Definition: Reliabilität bedeutet, dass eine systematische Beobachtung zuverlässig und exakt das beobachtet bzw. misst, was geschieht.

Realibilität hat also tatsächlich viel mit Zahlen und Genauigkeit zu tun. Wenn ein Schüler in seinem Praktikumbericht die Größe des Gruppenraumes im Kindergartens mit „fast so groß wie mein Klassenraum“ beschreibt, so handelt es sich hier bei um eine nicht reliable, weil ungenaue, Angabe.
Eine wirklich reliable Angabe wäre, wenn der Schüler Längs- und Quermaße des Raumes mit dem Zollstock exakt misst, miteinander multipliziert und die exakte Grundfläche des Raumes angibt.


25. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Fachbegriff „Reliabilität“ mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Sachverhalt veranschaulicht!


Objektivität

Definition: Eine systematische Beobachtung ist dann objektiv, wenn Sie in ihrer Fragestellung, Auswertung und Interpretation unabhängig von der Weltanschauung, von den Eigenschaften, Vorlieben oder Abneigungen des Beobachters bzw. des Forschers unabhängig durchgeführt wird.

Hier wird auf einen ganz wichtigen Aspekt hingewiesen, der auch die Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Untersuchungen, die uns in den Medien nahe gelegt werden, beurteilbar machen. Wenn eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt wird, um die bereits vorhandene Meinung eines Interessenverbandes lediglich zu belegen, so ist dies nicht wissenschaftlich, weil nicht objektiv!

Die Formulierung: „Wissenschaftler haben herausgefunden“ oder „es wurde nachgewiesen“ sind die neuen, heutzutage gültigen Glaubenssätze. Menschen glauben und übernehmen oft ungeprüft Aussagen, die mit diesen Beschreibungen in ihrer Glaubhaftigkeit aufgewertet werden. Trotzdem gibt es hier viele Irrtümer. Denn es ist größte Skepsis nötig, wenn z. B. eine Firma, die Nougat herstellt, einen wissenschaftlichen Bericht veröffentlicht, nachdem Nougat gesund sein soll. Ebenfalls sind größte Zweifel angebracht, wenn die Zigarettenindustrie einen Forschungsbericht vorlegt, nach dem das Rauchen von Zigaretten gar nicht gefährlich sein soll.

26. Arbeitsaufgabe:
Definieren Sie den Fachbegriff „Objektivität“ mit eigenen Formulierungen und erstellen Sie ein eigenes Beispiel, das diesen Sachverhalt veranschaulicht!

Eine gute Strategie, um zu objektiven Forschungsergebnissen zu kommen, ist es, wirklich finanziell, politisch und organisatorisch unabhängige Forschungsinstitutionen zu beauftragen, einen Sachverhalt zu erforschen. Dabei muss die Forschung ergebnisoffen durchgeführt werden. D. h. dass die Forscher keinerlei negative Auswirkungen haben dürfen, wenn sie ein Ergebnis feststellen, dass dem Auftraggeber nicht gefällt. Bezogen auf die pädagogische Situation eines Erziehungsalltages wäre eine Beobachtung dann objektiv, wenn die Beobachtungsfrage nicht alleine von einer Person festgelegt würde sondern nach Möglichkeit von mehreren. Auch die systematische Beobachtung sollte von mehreren Personen durchgeführt werden.

Eine systematische, also wissenschaftliche Beobachtung wird erreicht durch
- Verständlichkeit, Klarheit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit in der Benutzung von Begriffen
- Eindeutigkeit, also Unstrittigkeit in der Wahl von Begriffen
- Inhaltlich richtige Zurückführung von Beobachtungsfragen auf sichtbare Beobachtungskriterien (= Operationalisierung von Begriffen)
- Angaben, wie der Beobachter zu seinen Erkenntnissen gekommen ist
- Valide Beobachtungen und Untersuchungen, d. h. dass genau das anhand der Beobachtungskriterien beobachtet wird, was vorher auch angegeben wurde, was beobachtet und gemessen werden soll
- Reliabilität durch genaue und exakte Beobachtung bzw. Messung dessen, was zu beobachten und zu messen angegeben wurde
- Objektivität durch Unabhängigkeit der Beobachtung bzw. Untersuchung von der Einstellung und Sichtweise des Beobachters
- Ausscheiden von Merkmalen, die das Ergebnis verfälschen können (andere, unbekannte Ursachen sorgen für ein Ergebnis)

27. Arbeitsaufgabe: Erstellen Sie eine Zusammenfassung des Themas Wahrnehmung und systematische Beobachtung, indem Sie aus den vorgegebenen Definitionen und Prinzipien einen zusammenhängenden Text von höchstens einer DIN A4-Seite formulieren.

Durchführung einer systematischen Beobachtung anhand eines Beobachtungsbogens

Damit die Inhalte dieser Lektion nicht nur Theorie bleiben sondern erlebbare Praxis, sollten Sie nun in verschiedenen Situationen systematische Beobachtungen durchführen. Es bietet sich an, verschiedene Beobachtungsbögen zu erstellen und diese innerhalb der Klasse durchzuführen. So kann ein Teil der Schüler verschiedene Rollenspiele durchführen und ein anderer Teil beobachtet anhand des vorher erstellten Beobachtungsbogens. Besonders geeignet ist die Durchführung einer systematischen Beobachtung anhand eines Beobachtungsbogens innerhalb eines Praktikum. Daher ist die Durchführung einer systematischen Beobachtung oftmals wichtige Praktikumsaufgabe.

Vor der Erstellung eines Beobachtungsbogens müssen verschiedene Fragen geklärt werden:
- Was soll konkret beobachtet werden? D. h. in Absprache mit den Praktikumsanleitern soll geklärt werden, welches Kind und welche Verhaltensweisen (Beobachtungsfrage) tatsächlich beobachtet werden sollen.
- Dürfen die Kinder wissen, dass sie beobachtet werden, handelt es sich also um eine offene oder verdeckte Beobachtung?
- Sollen technische Hilfsmittel benutzt werden? Neben dem Einsatz eines Beobachtungsbogens oder eine Videokamera bzw. eines Kassettenrekorders helfen solche technischen Mittel, die Beobachtung sehr reliabel und überprüfbar zu gestalten.
- Soll man sich als Beobachter ruhig in eine Ecke setzen oder sich an der Aktivität der Kinder beteiligen? Handelt es sich also um eine teilnehmende oder eine nicht-teilnehmende Beobachtung? Hier muss geklärt werden, inwieweit die jeweilige Beobachtungsform Auswirkung auf das Geschehen hat.
- An welchen Zeitpunkten und wie lange sollen Kinder beobachtet werden? Wenn z. B. der Begriff Aggression beobachtet werden soll und dies innerhalb eines dreiwöchigen Praktikum an einem einzigen Montagmorgen geschieht, dann ist die Gefahr sehr groß, dass diese Beobachtung nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hat. Es kann nämlich durchaus sein, dass ein und dasselbe Kind an 4 Wochentagen sehr ruhig und friedlich sich verhält, aber jeweils montags aufgrund mangelnder Bewegung am Wochenende und aufgestauter Wut sich zu diesem Zeitpunkt besonders heftig aggressiv darstellt. Fachleute kennen hier den Begriff Montags-Syndrom. Nicht nur in Schulen sondern auch in Kinder-Tagesstätten sind viele Kinder montagmorgens besonders lebhaft und aggressiv.
- Passen die ausgewählten Verhaltensmerkmale, also die Beobachtungskriterien wirklich zur Beobachtungsfrage? Um das zu überprüfen, bearbeiten Sie bitte folgende Arbeitsaufgabe:

28. Arbeitsaufgabe: Zur folgenden Beobachtungsfrage werden mehrere Beobachtungskriterien bzw. Verhaltensweisen genannt. Zwei davon sind falsch und passen nicht zur Beobachtungsfrage. Finden Sie diese heraus, benennen Sie diese und begründen Sie Ihre Sichtweise.

Beobachtungsfrage/Beobachtungsgegenstand: Verhaltensauffälligkeiten im körperlichen Bereich eines Kindes

Beobachtungskriterien/Verhaltensweisen: Zappeln, Zittern, Einkoten, Daumen lutschen, Nägel kauen, Haare ausreißen, bunte Bilder malen, Zuckungen, Freude beim Rechnen, um sich schlagen

Lösung: Die Beobachtungskriterien bzw. Verhaltensweisen bunte Bilder malen und Freude beim Rechnen passen nicht zur Beobachtungsfrage. Wären diese in einem entsprechenden Beobachtungsbogen aufgelistet, wären sie falsch. Sie würden zu einer nicht validen Beobachtung führen, denn der Beobachtungsbogen gäbe vor, Verhaltensauffälligkeiten im körperlichen Bereich eines Kindes zu dokumentieren, diese beiden Kriterien jedoch würden etwas beobachten, was nicht dem entspräche, was auf Grund des Beobachtungsgegenstandes vorgegeben wird, was beobachtet werden soll.








Beobachtungsformen:
Die praktische Durchführung einer systematischen Beobachtung wird nicht nur von einem richtig erstellten Beobachtungsbogen beeinflusst. Entscheidend ist ebenfalls die Beobachtungsform, die man wählt.



direkt/indirekt


Teilnehmend/
Nicht teilnehmend








Systematische Beobachtung



offen/verdeckt




kurzzeitig oder länger
Mit Kamera, Mikrofon oder ohne

29. Arbeitsaufgabe: Sie sollen das Sozialverhalten eines Kindes beobachten. Erstellen Sie hierzu einen Beobachtungsbogen, legen Sie dabei eindeutig die Beobachtungsfrage und die dazu gehörigen Beobachtungskriterien bzw. Verhaltensweisen fest. Diskutieren Sie darüber hinaus, welche Beobachtungsform, also ob teilnimmt/nicht teilnimmt, direkt/indirekt, offen/verdeckt, kurzzeitig oder länger sinnvoll ist.

Beachten Sie bei der Erstellung des Beobachtungsbogens, dass er gleichermaßen valide, reliabel und objektiv ist. Fehlt eines dieser Aspekte, so ist die Wissenschaftlichkeit bzw. die systematische Art der Beobachtung nicht mehr gegeben. Die Begriffe Validität, Relialibität, Objektivität bedingen einander und sind unbedingt notwendig, um zu wirklichkeitsgetreuen Erkenntnissen zu gelangen. Nur so werden Vorurteile und die am Eingang der Lektion geschilderten Wahrnehmungsfehler vermieden.

Weitere Unterrichtsideen für die Plenumsphase

1. Zeigen Sie Ihren Mitschülern für ca. 10 Sekunden verschiedene Fotos, in denen Interaktionen, also Handlungen zwischen Menschen abgebildet sind. Legen Sie diese Fotos weg und fordern Sie Ihre Mitschüler auf, sich zu notieren, was sie gesehen haben. Anschließend werden diese Beobachtungen verglichen.

2. Führen Sie dieselbe Übung anhand von Filmen durch. Lassen Sie anschließend darüber diskutieren, warum manche Aspekte nicht von jedem gleichermaßen gesehen wurden.

3. Sie können statt der Filme und der Bilder auch Rollenspiele durchführen. Dies kann z. B. wie folgt geschehen: Sie bitten die halbe Gruppe, sich in einem großen Kreis zusammen zu setzen und über irgendeine strittige Frage zu diskutieren. Die andere halbe Gruppe der Mitschüler beobachtet dieses Geschehen und notiert sich das. Dies können Sie zu Beginn der Unterrichtseinheit ohne Beobachtungsbogen machen und zum Ende vorbereitet mit einem Beobachtungsbogen

4. Die Schüler sollen einen Beobachtungsbogen bezüglich des Verhaltens des Lehrers erstellen und über mehrere Tage parallel zum normalen Unterricht durchführen. Hierbei können erstaunliche Erkenntnisse für den Lehrer dabei heraus kommen. Z. B. wie oft er „Äh“ sagt, die Hand zur Stirn führt oder wie oft er Schüler z. B. unterbricht. Vereinbaren Sie einen Termin in einer nahe gelegenen Kinder-Tagesstätte bzw. eines Kindergartens und lassen Sie jeweils drei Schüler in einer Gruppe systematische Beobachtungen anhand vorbereiteter Beobachtungsbögen durchführen. Dies muss natürlich in sehr exakter Absprache mit dem jeweiligen Erzieherpersonal geschehen. Das Ergebnis der Auswertung dieser Beobachtungen sollte schriftlich zusammengefasst werden und den entsprechenden Erziehern zur Verfügung gestellt werden.

5. Es ist wichtig, dass die Mitschüler das Formulieren von operationalisierten Definitionen, also das Erstellen von Beobachtungskriterien, die zur jeweiligen Beobachtungsfrage passen, intensiv üben. Daher lassen Sie zu folgenden Beobachtungsfragen die jeweiligen Beobachtungskriterien erstellen. Diese Arbeit soll jeweils in Gruppen durchgeführt werden und im Plenum vorgestellt werden. Beobachtungsgegenstände: Sozialverhalten, emotionales Verhalten, Sprachverhalten, Sinnesbeherrschung. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass die von den Mitschülern erstellten Beobachtungskriterien zu den o. g. Beobachtungsgegenständen wirklich sichtbar sind.


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Teil 2: Diagnose im Rahmen der Beratung (Grundlagen)21
In der schulischen Praxis gibt es viele Fragestellungen, bei denen der Lehrer Schülerleistungen und Verhaltensweisen beschreiben, messen oder beurteilen muss, also Fragestellungen aus der pädagogischen Diagnostik. Ziel der hierfür vorhandenen Tests ist die genauere und gerechtere Beurteilung.

1.1. Begründung der geringen Anzahl von pädagogischen Tests
a.) Hohe Kosten der Entwicklung eines solchen Testverfahrens (Geschäftliches Risiko für Testverlage)
b.) Große Unterschiedlichkeit von Lehrplänen bei den verschiedenen Bundesländern
c.) Hohe Änderungsgeschwindigkeit der Lehrpläne
Praktisches Reagieren des Lehrers darauf:
Selbstentwicklung von informellen Tests. Zuschneiden auf eigene Fragestellung, Unterricht und eigene Klasse.

1.2. Definition des Begriffes Test
Lienert definiert einen Test folgendermaßen:
Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung.22
Nach dieser Definition kann eine Aufgabensammlung und ein Diktat nicht als wissenschaftlicher Test bezeichnet werden.
Wissenschaftlich = Dazu gehören Testerprobungen, Aufgabenanalysen, Reliabilitätsschätzungen und Bestimmung der Validität.
Routineverfahren = Unter Standardbedingungen muss der Test handwerksmäßig von verschiedenen Testleitern durchgeführt werden können, die Ergebnisse müssen vergleichbar sein.
Empirisch abgrenzbare Persönlichkeitsmerkmale = Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Verhaltensweisen oder Verhaltensdispositionen; Phänomenologische, nicht etwa rein begriffliche Bestimmung.
Möglichst quantitative Aussage = Testergebnis sollte als eine Zahl möglichst auf einer eindimensionalen Skala wiedergegeben werden.
Relativer Grad der Merkmalsausprägung = Beispielsweise die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben ist nicht interpretierbar. Der Testrohwert muss in Beziehung zu einem Normwert gesetzt werden, z.B. zum Gruppendurchschnitt oder zur maximal möglichen Punktzahl. Test-ergebnis wird dadurch relativiert.
Raatz: Ein Test ist ein nach bestimmten Regeln entwickeltes Verfahren mit Stichprobencharakter zur Messung von Kenntnissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Verhalten oder Verhaltensdispositionen.

1.3. Gütekriterien
Definition:
Gütekriterien sind spezielle Eigenschaften eines jeden Messinstruments, insbesondere aber eines Tests. Die Hauptgütekriterien sind Objektivität, Reliabilität und Validität, die Nebengütekriterien sind Vergleichbarkeit, Ökonomie und Nützlichkeit. Diese Gütekriterien sollte jeder Test haben, damit man ihn mit Erfolg einsetzen kann.

Objektivität = Unabhängigkeit des Testergebnisses vom Testleiter in Bezug auf Testdurchführung, Auswertung und Interpretation.
Reliabilität = Genauigkeitsgrad der Messung eines Tests. Wird im allgemeinen durch den Reliabilitätskoeffizienten, eine Zahl zwischen Null und Eins, zahlenmäßig ausgedrückt.
Validität = Die Validität ist das wichtigste Gütekriterium. Sie beschreibt die Eigenschaft oder Fähigkeit eines Tests, tatsächlich das zu messen, was er messen soll.

Oder:

Die Effizienz, mit der der Test seine Aufgabe erfüllt. Die Validität wird auf der Grundlage verschiedener Konzepte mit unterschiedlichen Methoden nachgewiesen.
Die empirische Validität beinhaltet eine Validitätsüberprüfung, die durch den Vergleich von Testergebnissen mit einem Außenkriterium, beispielsweise einem anderen, bereits bewährten Test einer Schulnote oder einem Prüfungsergebnis geschieht. Eine Augenschein-Validität oder Face-Validität ist dann vorhanden, wenn ein Test vom Inhalt her valide erscheint, eine empirische Überprüfung wird nicht als notwendig angesehen. Die inhaltliche Validität ist das wichtigste Validitätskonzept bei Schultests. Hier sind die Testaufgaben repräsentativ für das zu messende Merkmal, beispielsweise eine Lernziel.

Bei der Konstrukt-Validität geht es darum, dass mittels dieser komplexen Methode der Validitätsbestimmung, insbesondere bei Persönlichkeitstests, dass der Test durch eine Reihe von empirischen Untersuchungen in ein Beziehungsgeflecht, welches das Merkmal darstellt, eingebunden wird. Bei der Vorhersage-Validität handelt es sich um eine empirische Validität, bei der das Vergleichskriterium in der Zukunft liegt.
Vergleichbarkeit = Ein Test ist vergleichbar, wenn es für die jeweilige Fragestellung auch andere gültigkeitsähnliche Tests gibt. Das ist dann von Nutzen, wenn man bei den selben Personen öfter Tests durchführen will, aber keine Parallelformen zur Verfügung hat.
Ökonomisch = Ein Test erfüllt das Nebengütekriterium Ökonomisch, wenn er preiswert ist, eine kurze Durchführungszeit beansprucht, rasch und einfach auszuwerten ist.
Praktisches Beispiel: Ein Biologielehrer prüft fünf Schüler mündlich über Grundlagen der Vererbungslehre. Wie ist die Objektivität, Reliabilität und Validität dieser Art von Prüfung zu beurteilen.

Beurteilung der Objektivität: Die Objektivität ist wahrscheinlich recht gering, die äußeren Bedingungen wechseln bei jeder Prüfung. Meist werden andere Fragen gestellt (Vergleichbarkeit?). Die Antworten werden meist nicht notiert, im Nachhinein wird eine Gesamt-Note geschätzt. Möglicherweise vorhandene Vorurteile des Lehrers gegenüber einzelnen Prüflingen und unbeabsichtigte Verschiebung des Beurteilungsmaßstabs von Prüfung zu Prüfung und eine Ermüdung verringern die Objektivität.
Beurteilung der Reliabilität: Die Reliabilität ist wahrscheinlich gering, Objektivität und Standardisierung sind gering. Wahrscheinlich werden nicht genug Fragen gestellt und die Fragen sind meist nicht vorformuliert. (Erinnere: Ein Test ist um so reliabler, je genauer er misst).

Beurteilung der Validität: Hier ist das Konzept der Inhaltsvalidität wichtig. Diese ist jedoch nur gegeben, wenn bei jeder Prüfung die Fragen eine repräsentative Stichprobe aus dem Lehrzielkatalog sind. Das ist bei mündlichen Prüfungen jedoch sehr fraglich. (Erinnere: Ein Test ist um so valider, je eher er das Merkmal oder die Aufgabengrundmenge, die er messen soll, auch wirklich misst. Ein Test ist um so valider, je effektiver er seinen Zweck erfüllt).23

1.4. Tests in der Schule = Diagnose von Lernschwierigkeiten - Soll-Ist-Abweichung
Eine Lernschwierigkeit ist durch eine Diskrepanz zwischen der Soll-Leistung und der Ist-Leistung in einem bestimmten Unterrichtsfach (partiell) oder in allen Fächern (global) definiert. Die Soll-Leistung ist durch einen Gruppendurchschnitt (soziale Norm), ein Lehrziel (Idealnorm) oder durch die individuelle Lernkapazität (Individualnorm), die zum Beispiel durch einen Intelligenztest erfasst werden kann, bestimmt. Die Ist-Leistung wird mit herkömmlichen Methoden, vorteilhafter jedoch mit Tests gemessen.
Diagnostische Tests können mit Erfolg bei einer gezielten individuellen Diagnose bezüglich der Einzelschwierigkeiten eingesetzt werden. Diese liefern meist ein Leistungs- oder Fehlerprofil, aus dem die jeweiligen Schwächen hervorgehen.
Beispiel: Bei einer Grobdiagnose einer Legasthenie werden ein Rechtschreibtest zur Feststellung der Ist-Leistung und ein Intelligenztest zur Ermittlung der Soll-Leistung eingesetzt. Bei der anschließenden Analyse der spezifischen Rechtschreibschwierigkeiten als Grundlage für ein gezieltes Training wird ein diagnostischer Rechtschreibtest, z.B. der DRT II von Rudolf Müller verwendet.


1.4.1. Tests bei der Schullaufbahnberatung
Bei der Schullaufbahnberatung, wie schon an anderer Stelle erwähnt, geht es darum,
a.) die richtige Schulart passend zu den Fähigkeiten des Schülers zu empfehlen
b.) Strategien im Sprachunterricht
c.) Auswahl Gesamtschule oder Gymnasium
d.) Welche Leistungskurse sollen gewählt werden
e.) Frage der Eignung für ein Studium

Zur Beantwortung dieser Fragen benötigt der Bildungsberater Informationen über allgemeine und spezielle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen des Schülers. Solche Informationen liefern Schulnoten, insbesondere aber spezielle Tests und Interessensfragebögen. Tests dieser Art müssen ein breites Spektrum von Fähigkeiten erfassen und als Ergebnis ein Fähigkeitsprofil liefern. Dieses sollte in Bezug auf unterschiedliche Ausbildungsgänge jeweils eine hohe spezifische prognostische Validität besitzen: Der Intelligenz-Struktur-Test IST 70 von Rudolf Amthauer liefert ein Intelligenzprofil. Im Beiheft dieses Tests befinden sich Normprofile für viele unterschiedliche Studiengänge und Berufe. Das individuelle Profil kann dann mit diesen Normprofilen verglichen werden.

1.5. Befragung und Fragebogen
Definition: Mit dem Begriff Befragung wird die Planung, Ausführung und Auswertung einer Frage-Antwort-Operation bezeichnet, bei der die Befragten durch eine Reihe von thematisch gezielten Fragen zu entsprechender Beantwortung veranlaßt werden.24
Organisationsformen:
a.) Einzeln b.) Gruppen c.) mündlich d.) schriftlich.
Keine Befragungen sind Interview, Massenumfrage, persönliche und kommunikative Beziehung, Interaktion.

1.5.1. Regeln der Befragung
a.) Befragung ist in ihrer Zielsetzung an der thematischen und sprachlichen Kompetenz und Interessenlage der Befragten ausgerichtet.
b.) Differenzierte und widerspruchsfreie (logische) 20 bis 40 Einzelfragen.
c.) Aufdecken der Kompetenz oder Inkompetenz des Befragten.
d.) Offene und direkte Vorgehensweise.
e.) Keine suggestiven Formulierungen oder Fragestellungen.
f.) Möglich: Reizvolle Ober- und Unterfragen, um Zuwendung des Befragten wach zu halten.
g.) Ich-Formulierung der Thesen soll Rückzug des Befragten auf sozial erwünschte Gemeinplätze vermeiden. Beantwortung soll unmittelbar und eindeutig erfolgen.
h.) Möglichkeit des unentschiedenen Votums muss vorhanden sein.

1.5.2. Die fünf Schritte des Ablaufs einer Befragung
1. Vorbereitung des Fragebogens.
Erstellung des Fragebogens durch theoretische Vorgaben, informelle Befragungen, Entlehnungen aus vergleichbaren Sachverhalten.
= Formulierung und Überprüfung der Fragen nach inhaltlichen und sprachlichen Kriterien,
= Reihenfolge und Kombination der Fragen,
= Beschränkung der Anzahl.
= Formulierung der Instruktion für die Befragten, die den obigen Kriterien entspricht.
= Festlegung der Auswertungsverfahren.

2. Prätest:
Die Qualität des Fragebogens muss überprüft werden, dies kann in einer kleinen Gruppe geschehen, Fragestellung ist, ob die Fragen verständlich sind, ob sie transparent sind oder missdeutig, ob bei der Länge des Fragebogens Ermüdungen auftreten. Nach Auswertung dieser Vorbefragung können Fragen umformuliert oder ausgewechselt werden.
3. Organisatorisches:
Druckherstellung, Fehlerkontrolle des Fragebogens, mündliche Einführung der Befrager.

4. Durchführung der Befragung:
Vermeidung von Störungen, unzulässigen Kommunikationen und Auslassungen im Fragebogen.

5. Auswertung
1.5.3. Unterschiedliche Fragetypen
a.) Faktenfragen (Ziel eindeutige Informationen über Tatsachen zu bekommen).
b.) Offene Fragen (Die hierauf folgenden freigestellten Antworten bedingen anschließende Kombination der AnSchlussfragen.
c.) Fragen mit formalisierten Thesen und Antwortvorgaben (Symanthische Differenzierung)

1.5.4. Gütekriterien nach Jaide
Die Gütekriterien sind vergleichbar anzuwenden wie bei anderen psychologischen Untersuchungen (Tests).
Durchführungsobjektivität:
a.) Genau kontrollierte und protokollierte Durchführung der Befragung
b.) Sorgfältige Betreuung, Instruktion und Kontrolle
c.) Gleichhaltung der Präsentation
Validität:
Zur Klärung der Gültigkeit der Ergebnisse können Außenkriterien, wie Schulerfolg oder Berufs-entschluss eingeholt werden.
1.5.5. Anwendungsbereiche der Befragung
= Erfahrung in der Eltern-Familie über Erziehungsstile, Interaktion zwischen Eltern und Kindern
= Schulerfahrung mit der Institution, den Schulfächern, Lehrern, Mitschülern,
= Schullaufbahnberatung und Entscheidungen,
= Berufswahlprozesse,
= Problemlösungstechniken und Stationen,
= Konsumverhalten mit seinen Schwerpunkten, Möglichkeiten und Grenzen...

Bei der Befragung sollen weniger personalisierte introspektive Problemlagen angesprochen werden, sondern (bei Kindern, Schülern, Auszubildenden, Heranwachsenden) deren Einschätzungen und Reaktionen in Bezug auf die sie umgebenden beeinflussenden Chancen und Grenzen. Reife, Widerspruchsfreiheit, Engagement der Antworten sollen weniger auf die Individuen, als vielmehr auf ihre Lebens- und Bildungsverhältnisse bezogen werden. Befragungen dieses Typus gehören zur pädagogischen Praxis, obwohl diese nicht immer zu ihrem Gebrauch und zur Einholung von evtl. ungünstigen Resultaten ermuntert. Andererseits sind Befragungen zur Lernzielkontrolle oder anderen Effizienzuntersuchungen und für die Ziel-Mittel-Diskussion unentbehrlich. Denn sie liefern - im Ausschnitt ihrer Seriosität und Validität - Rückmeldungen für pädagogische, administrative und politische Praxis.

1.5.1. Befragung als Lernerfolgskontrolle
"Bei der Befragung wendet sich der Lehrer an die gesamte Klasse und ruft einen Schüler auf, die jeweils gestellte Frage zu beantworten. Antwort wird oft ein Wort oder ein Satz sein. Hier werden nur Fakten aufgezählt, aber keine Zusammenhänge beschrieben. Die Anforderungen an das selbständige Denken sind meist gering. Begründungen oder Urteile werden von dem Schüler nicht verlangt. Diese Form der Kontrolle eignet sich daher, in kurzer Zeit das Wissen über Fakten bei mehreren Schülern zu kontrollieren."25

1.1. Beobachtung
1.1.1. Definitionen:

1. Die Methode der Beobachtung ist die Erfassung sinnlich wahrnehmbarer Tatbestände, wobei der Beobachter sich bewusst (gezielt, kontrolliert) an einem aktuellen Gegenstand (Situation, Ereignis, Menge von Situationen bei Ereignissen) in seiner Umgebung orientiert und sich diesen und seinen Signalen empfangend bzw. empfänglich gegenüber verhält.26

2. Alltägliches und wissenschaftliches Beobachten ist die zielgerichtete Erfassung der aktuellen Umwelt durch die Sinnesorgane (nicht nur durch die Augen!) und die Registrierung des erfaßten in Informationseinheiten. Beobachtung ist eine auf Informationsgewinnung hin zielgerichtete Tätigkeit.27

3. Nur mit der Methode der Beobachtung werden Handlungen und Kommunikation direkt zu dem Zeitpunkt, zu dem diese tatsächlich geschehen, erhoben. Für diese Methode der Beobachtung ist das Fremdverstehen Voraussetzung. Es gibt verschiedene Variationsmöglichkeiten der Beobachtung:
a.) Direkte Beobachtung: Sie bezieht sich auf den Realitätsbezug des Beobachtungsmaterials, die direkte Beobachtung wird als die eigentliche Methode der Beobachtung verstanden.
b.) Indirekte Beobachtung: Sie bezieht sich auf den Realitätsbezug des Materials. Bei der indirekten Beobachtung wird das Verhalten nicht in Actu beobachtet, sondern es werden nachträglich Dokumente zur Beobachtung analysiert.
c.) Nicht teilnehmende Beobachtung: Der Beobachter ist nicht selbst Element des zu beobachtenden sozialen Feldes, er beobachtet gleichsam von außen das ihn interessierende Verhalten.
d.) Teilnehmende Beobachtung: Diese Methode wird in der natürlichen Lebenswelt der Untersuchungspersonen durchgeführt. Der Forscher nimmt am Alltagsleben der ihn interessierenden Personen und Gruppen teil und versucht, deren Interaktionsmuster und Wertvorstellungen zu explorieren und für die wissenschaftliche Auswertung zu dokumentieren.
e.) Offene Beobachtung: Der Beobachter tritt im sozialen Feld ausdrücklich als Forscher auf, was jedoch nicht heißt, dass die Beobachteten das eigentliche Ziel der Beobachtung kennen.
f.) Verdeckte Beobachtung: Der Beobachter gibt seine Identität als Forschere im sozialen Feld nicht zu erkennen.
g.) Qualitative Beobachtung: Hier gibt es eine systematische und eine unstrukturierte, offene, teilnehmende, tendentiell aktiv teilnehmende, direkt und sie findet im sozial natürlichen Feld statt; Forscher und Beobachter bilden Personalunion.
h.) Systematische oder auch wissenschaftliche Beobachtung: Diese Methode ist eher kognitiv-betrachtend im Gegensatz zum eher pragmatisch, emotional teilnehmenden alltäglichen Verstehen. Systematische Beobachtung unterscheidet sich von der naiven Beobachtung durch den Grad der Wissenschaftlichkeit (Formulierung eines Forschungsziels, systematische Planung und Aufzeichnung, Überprüfbarkeit).

1.1.2. Drei Hauptfehlerquellen der Beobachtung - Drei methodische Komponenten
Nach Lüdtke sind die drei methodischen Komponenten und ihre Wechselwirkungen zugleich die Hauptfehlerquellen der Beobachtung:
a.) Die Person des Beobachters
b.) Das Instrumentarium der Beobachtung
c.) Die Erhebungssituation.

Zu a.) Reaktivität des Beobachters:
Jedes Auftreten eines Beobachters führt zu entsprechenden Reaktionen der zu beobachtenden Akteure. Selbst wenn das Erscheinen des Beobachters plausibel ist, führt es doch zu einer entsprechenden Reaktion (besonders bei der offenen Teilnahme). Indirekter Einfluss entsteht aber auch durch Aufbauen von Videokamera, Mikrofon, Einwegspiegel und Instruktionen des Untersuchungsleiters. Hierdurch können die reaktiven Effekte zwar reduziert werden, aber nicht verhindert werden. Das Arrangement einer Beobachtung muss dem Rechnung tragen.

zu a.) Selektive Perzeption und Interpretation des Beobachters:
Die Wahrnehmungen, Situationsdeutungen und Aufzeichnungen des Beobachters können einseitig, verzerrt und lückenhaft sein. Begründung: Begrenzung der physischen Wahrnehmungsfähigkeit, durch schwindende Distanz zwischen Beobachter und Akteur kann Objektivität verloren gehen, einseitige Einstellungen und Vorurteile der Beobachter.
zu b.) Heteromorphie30 von Beobachtungsschema und Gegenstand
Werden die Beobachtungen nicht durch explizite Definitions- und Zuordnungsregeln sowie Mess-, Zähl- oder Qualifikationsoperationen des Schemas gesteuert und lassen sich die beobachteten Ereignisse nicht eindeutig Kategorien zuordnen, so werden die Daten relativ willkürlich sein: Die vorgefundenen empirischen Dimensionen des Gegenstandes entsprechen nicht den theoretisch intendierten und sind vielleicht dazu noch in einer unklaren beliebigen Beobachtungssprache abgebildet. Beispiel: Soll aggressives Verhalten von Kindern untersucht werden, die kaum körperlichen Kontakt miteinander haben, so wäre ein Beobachtungsschema unzulänglich, das nicht auch verbale, gestische und mimische Formen von Aggression vorsieht. Voraussetzung der systematischen Beobachtung ist somit die Kenntnis der Grunddimensionen des Gegenstandes nach Teilsituationen, Bedeutungskontexten, Handlungsarten der Akteure und Verlaufsformen. Diese Dimensionen werden durch die Kategorien und operationalen Indikatoren des Schemas abgebildet. Sie sollen so vollständig sein, dass sie ein Maximum denkbarer Beobachtungen zu erfassen vermögen. Dem Beobachter muss klar sein, dass er sich auf die ihm vorgegebenen relevanten Aspekte des Gegenstandes konzentrieren muss, so dass die Beobachtungen spezifisch strukturiert werden und nicht diffus ablaufen.

zu b.) Unangemessenheit des Beobachtungsstandorts oder der Kontaktperson (Informanten):
Je komplexer ein Beobachtungsgegenstand, je länger die Beobachtungsdauer und je zahlreicher die Beobachtungssequenzen, desto notwendiger sollten die Kriterien, nach denen der Beobachter seinen Standort, die Teilklassen der Beobachtungskategorien und der Kontaktperson auswählt, verändert und aktualisiert, nach einem Stichprobenplan definiert sein. Vor der Konstruierung der Beobachtung muss eine Vorkenntnis des Beobachtungsfeldes vorhanden sein.

zu c.) Veränderungen der Situation:
Unabhängig von den Veränderungen, die durch den Beobachter (s.o.) entstehen, kann im Verlauf einer Beobachtungsperiode die Situation und die zu beobachtenden Akteure eine Veränderung vollziehen. Wenn der Beobachter hier eine relativ konstante Struktur als Ausgangspunkt sieht, entstehen Beobachtungsverzerrungen. Unerwartete Veränderungen können aufgrund von wichtigen Umweltveränderungen und Veränderungen der Randbedingungen, Mentalitätswechsel (Lerneffekte bei den Akteuren) geschehen. Werden solche Veränderungen durch das vorgesehene Routinebeobachtungsinstrumentarium nicht registriert, so werden die Daten eine untypische Situation widerspiegeln.

1.1.3. Prozess begleitende Beobachtung
Die Prozess begleitende Beobachtung ist keine Methode, die in erster Linie in Konkurrenz zu anderen Methoden zu sehen ist, sondern eher ein multimethodischer Spezialfall des diagnostischen Vorgehens bei intendierten Veränderungen im Rahmen eines pädagogischen Handlungskontextes.
Definition und Funktion:
Die Prozess begleitende Beobachtung ist eine empirische Forschungsmethode zur quantitativen Erfassung von Geschehensabläufen in einem definierten Handlungskontext mit dem Ziel, dieses Geschehen selbst zu kontrollieren und beratend oder therapierend darauf einzuwirken.
Die Prozess begleitende Beobachtung hat fließende Übergänge zur Verhaltensmodifikation, Systemberatung, experimenteller Einzelfallanalyse, Krisenintervention und Unterrichtsanalyse. So wie bei der Beobachtung so kann auch bei der Prozess begleitende n Beobachtung eine Differenzierung nach dem Grad der Strukturiertheit und der Partizipation vorgenommen werden. Der Gegenstand der Beobachtung kann etwa in einem pädagogischen Problem liegen, das mit wissenschaftlichen Mitteln unter der Kontrolle des Forschers gebracht werden soll.

1.1.4. Ziel der Prozess begleitender Beobachtung
Ziele sind z.B. Ziel erreichendes Lernen in einer Versuchsschule, geplante Lernumwelt Veränderungen, Angstreduktion bei einer Schülergruppe, Analyse von gestörtem Unterricht oder Integration eines konfliktbelasteten Lehrerkollegiums.
Da die Prozess begleitende Beobachtung auf die Beschreibung und Unterstützung von Veränderungsprozessen gerichtet ist, eignet sie sich für die Erfassung geplanten Wandels von Institutionen (Bezug zur Systemberatung). Beispiel: Evaluation (Bewertung) eines neuen Tutorsystems in Gesamtschulen, wobei zuerst eine genaue theoretische Analyse des Beobachtungsgegenstandes erforderlich ist, bevor eine quantitative Beobachtungsmethode eingesetzt werden kann.

1.1.5. Techniken der Prozess begleitende n Beobachtung in der Beratung
a.) Vorläufige Analyse des Problems
b.) Durch pädagogische Intervention ein Veränderungsziel einführen
c.) Prozesshafte Beobachtung und Überprüfung der Intervention
d.) In Abhängigkeit der Ergebnisse nächsten Interventionsschritt planen und durchführen (Methodische Analogie zur Verhaltenstherapie).

Techniken:
a.) Beobachtete Geschehen muss in zählbare Elemente zerlegt werden:
Systematische Beobachtung erfordert die Konstitution einer eigenen Beobachtungssprache mit künstlichen Symbolen und Regeln, wozu man ein System entwickelt, das mit Hilfe von einzelnen Zeichen oder umfassenderen Kategorien gebildet wird.
b.) Grad der Inferenz:
Die Beobachtung ist dann hoch inferent, wenn der Beobachter die Geschehnisse beurteilt und in relativ breite Kategorien einordnet (wie: Verliert die Nerven, ist leistungsmotiviert). Eine Beobachtung ist niedrig inferent, wenn der Beobachter nur ein vorgesehenes Zeichen ankreuzt (Stuhl umwerfen, Schimpfwörter rufen usw.), dies ist unökonomisch, weil der Beobachter selbst keine Schlussfolgerung zieht und sozusagen wie ein Apparat alles registriert, was in ein vorgegebenes Raster passt.
c.) Hohe kognitive Leistungsfähigkeit des Beobachters:
Diese hohe kognitive Leistungsfähigkeit kann die oben erwähnte selektive Perzeption und Gewichtung des Beobachters aufheben. Wie hoch man den Grad der Inferenz in einem Beobachtungssystem ansetzt, hängt von der Möglichkeit ab, qualifizierte Beobachter zu finden oder auszubilden.
d.) Ereignisstichprobe und Zeitstichprobe:
Aus ökonomischen Gründen muss man sich für eine der beiden Techniken entscheiden. In der Verhaltensmodifikation, als dem typischen Beispiel einer kontrollierten Praxis, ist die Zeitstichprobe üblich. In bestimmten Zeitabständen wird die Person unter definierten Bedingungen beobachtet. Die Situationen, in denen kontrollierte Praxis stattfindet, werden jedesmal zu diesem Zweck geschaffen.
In vielen Fällen wird man aber aufgrund sachlicher Gegebenheiten Ereignisstichproben bevorzugen: Die Erfassung kritischer Schulereignisse ist vor allem in Krisensituationen sinnvoll.

1.1.1. Zusammenfassung:
Gütekriterien, Standardisierung wegen Vergleichbarkeit, sie ist Voraussetzung für Objektivität, Reliabilität und Validität.
= Objektivität auf Durchführung, Auswertung, Interpretation bezogen
= Reliabilität = Messgenauigkeit
= Validität = Verfahren misst, was es messen soll.
= Ökonomie = sparsam
Die drei Aufgaben der Diagnose:
a.) Beschreibung der Probleme (Soll-Ist-Abweichung)
b.) Aufklärung der Ursachen
c.) Vorbereitung der Intervention
Hinweise auf Quellen und kurze Erklärungen
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Fußnoten:

20 Siehe hierzu Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Band 8, S. 524 (Kopie im Anhang)
21 Die folgenden Ausführungen zum Thema Test sind größtenteils aus: "Tests in der erziehungswissenschaftlichen Praxis", Kurseinheit I bis III, Ulrich Raatz, 1986 Fernuniversität - Gesamthochschule Hagen (Lehrbriefe) und entsprechenden Vorlesungen an der UNI-Duisburg
22 Lienert, Gustav A.: Testaufbau und Testanalyse, Weinheim, Berlin, Basel, 1969, S. 7
23 Weitere und detailliertere Ausführungen zu dem Aspekt der Gütekriterien finden sich in: Raatz, U.: Tests in der erziehungswissenschaftlichen Praxis, Kurseinheit I, S. 65 bis 77.
24 Nicht nur diese Definition, sondern die ganzen Ausführungen zu dem Aspekt Befragung stammen von: Jaide, Walter: Befragung, in Enzyklopädie Erziehungswissenschaft a.a.O. Band II, S. 309 bis 313.
25 Lernerfolgskontrolle und Leistungsmessung, in: Richtlinien und Lehrpläne für die Realschule in Nordrhein-Westfalen "Chemie", 1978, S. 103
26 vgl. Grümer, K.-W.: Beobachtung, Stuttgart 1974, S. 26
27 Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin, New York, 1984, S. 144 und 145
28 Lamneck, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, Band II, Methoden und Techniken, Weinheim 1993, S. 381, 382
29 Perzeption = Sinnliches Wahrnehmen, Reizaufnahme durch Sinneszellen oder Sinnesorgane (Fremdwörterduden, S. 595)
30 Heteromorphisch = Anders oder verschieden gestaltet (Neues deutsches Wörterbuch, Köln 1996, S. 420)
31 Schwarzer, Ralf: Prozeßbegleitende Beobachtung, in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Band II, S. 323