Aggression von Herbert Selg

Geschichte
Seit Menschen ihr Leben in Worten und Bildern festhalten, gehören Aggressionen zu den Inhalten der Darstellungen: Auf einer etwa 5000 Jahre alten Schminkpalette des ägyptischen Königs Narmer wird gezeigt, wie er mit einer Keule auf einen Menschen einschlägt; und die Heilige Schrift des Abendlandes, die Bibel, schildert Gewaltakte vor allem im Alten Testament gehäuft und oft wenig reflektiert. Schon in der ersten Familie gab es einen Mord (Kain und Abel). Zum Thema der Psychologie wurde die Aggression vor etwa 100 Jahren.


Was ist Aggression?
„Definition 1: Unter Aggression versteht man ein Angriffsverhalten (körperlich oder sprachlich) gegenüber Sachen oder Lebewesen. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum es zu Aggressionen kommt. So existiert die Theorie, dass Aggression ein angeborener Trieb jedes Menschen ist, jedoch mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. Andere Theorien gehen davon aus, dass Aggressionen die Folge von negativen Erlebnissen (Frustrationen) sind. Seit langem kursiert zudem die Theorie, dass ein Mensch umso aggressiver werde, je mehr Kontakt er mit anderen aggressiven Personen habe. Jeder lerne anhand von Vorbildern, welche Reaktion in bestimmten Situationen angemessen ist (Lernen am Modell). Auch die Medien würden mit ihren Gewalt verherrlichenden Darstellungen die Aggressionen schüren. Noch ist nicht völlig klar, auf welche Weise Aggressionen am besten abgebaut werden - Gespräche können hilfreich sein.


Definition 2: Aggression ist ein manifestes Verhalten, dessen Ziel die körperliche oder bloß symbolische Schädigung oder Verletzung einer anderen Person, eines Tiers oder auch einer Sache ist. Die überdauernde Bereitschaft zu aggressiven Verhaltensweisen wird als Aggressivität bezeichnet“.


Aufgabe 1: Suchen sie drei verschiedene Definitionen zu den Begriffen Aggression und Gewalt und vergleichen Sie diese.

Begriffe
Zentrale Begriffe in diesem Feld sind "Aggression", "Aggressivität" und Gewalt. Bei der Suche nach brauchbaren Definitionen erscheint es zweckmäßig, sich auf jene Autoren zu stützen, die als erste entsprechende Überlegungen angestellt haben und denen es gelungen ist, die Aggressionsforschung auf ein hohes Niveau zu heben:

Ihren ersten Höhepunkt erreichte die Aggressionsforschung 1939 mit dem Buch "Frustration and Aggression" von Dollard, Doob, Miller, Mowrer und Sears.

Dollard et al. (1939) definierten Aggression "als eine Handlung, deren Zielreaktion die Verletzung eines Organismus (oder Organismus-Ersatzes) ist".

Zufällige Verletzungen scheiden aus, da sie nicht als Zielreaktionen gelten; Phantasien können hingegen Aggressionen sein. Diese Umschreibung lässt sich weiter ausdifferenzieren: Man kann ein Verhalten als Aggression einstufen, wenn ein "gegen einen Organismus oder ein Organismussurrogat gerichtetes Austeilen schädigender Reize" erkennbar ist. ("Schädigen" meint beschädigen, verletzen, zerstören und vernichten, Schmerzen zufügen, ärgern, stören, beleidigen etc.). Eine Aggression kann offen (körperlich, verbal) oder verdeckt (phantasiert), sie kann positiv (von der Kultur gebilligt) oder negativ (missbilligt) sein (Selg et al., 1997).

Wichtig ist: 1) "Aggression" meint ein Verhalten, kein Motiv und keinen aggressionsaffinen Affekt (wie etwa Ärger, Wut, Hass). 2) Die vom Forscher interpretierte "Gerichtetheit" soll verhindern, dass zufälliges Schädigen als Aggression gilt. "Absicht" soll nicht als Kriterium gelten, weil sonst z.B. Tiere, kleine Kinder und Absichten leugnende Straftäter aus der Aggressionsforschung ausgeschlossen werden müssten. 3) Vandalismus und Umweltverschmutzung können zu den Aggressionen gerechnet werden, wenn man "Organismus" (und v.a. "Organismussurrogat") nicht zu eng, sondern z.B. auch Gruppen oder Institutionen darunter fasst. Unter "Aggressivität" kann man die relativ überdauernde Bereitschaft eines Menschen (oder Tiers) zu aggressivem Verhalten verstehen.

Gewalt ist ein inflationär gebrauchter modischer Begriff für eine Teilmenge der Aggression. Meist werden physische Aggressionen gemeint, und zwar solche, die mit relativer Macht bzw. Kraft einhergehen. Man muss aber auch psychische Aggressionen bedenken (Drohungen, verbale Aggressionen), die mit relativer Macht bzw. Kraft gezeigt werden.

Aufgabe 2: Fassen Sie die Ausführungen zum Begriff "Aggression" zusammen.

Formen der Aggression
Es gibt nicht "die" Aggression oder "die" Aggressivität. Man kann und muss verschiedene Formen unterscheiden. Nach äußerlich-formaler Einteilung gibt es offene und verdeckte Aggressionen, direkte und indirekte Aggressionen (z.B. üble Nachrede), Einzel- und Gruppenaggressionen (bis hin zum Krieg), Selbst- und Fremdaggressionen. Inhaltlich-motivational kann man trennen: positive und negative Aggressionen; expressive (affektbegleitete), feindselige (die Schaden und Schmerz des Opfers will) und instrumentelle Aggressionen (das sind solche Aggressionen, die ein bestimmtes Ziel, z.B. Geldgewinn, anstreben; eine Schädigung eines Opfers wird primär nicht angestrebt, aber um des Erfolges willen in Kauf genommen). Von ernster Aggression ist v.a. bei Kindern die spielerische Aggression zu trennen.

Aggressionstheorien
Seit rund 100 Jahren gibt es psychologische Aggressionstheorien. Es haben sich zwei Gruppen gebildet: Instinkt/Triebtheorien einerseits, lernpsychologische Ansätze andererseits. Zwischen beiden steht die Frustrations-Aggressions-Theorie.

Instinkt-/Triebtheorien.
Sie gehen davon aus, dass sich stets eine spezifische Aggressionsenergie neu bildet und in größerer Menge aufgestaut werden kann - ohne die Art und den Ort dieses Staus zu erörtern. Die Energie muss irgendwann verbraucht werden; gefährlich wird es, wenn viel Energie in eine einzige Handlung fließt. Bei Burk (1897) treffen wir erstmals auf die Annahme eines Kampfinstinkts. 1908 postulierte A. Adler, damals noch zum Kreis um S. Freud gehörend, einen Aggressionstrieb. 1911 folgte S. Spielrein, Schülerin von C.G. Jung und S. Freud, mit einem Destruktionstrieb. Freud hielt davon zunächst wenig. 1920 legte er jedoch ähnliche Ideen in seiner letzten Trieblehre vor, in der sich zwei große Triebsysteme gegenüberstehen, nämlich Eros (Lebenstrieb) und Thanatos (Todestrieb). Das Ziel des Todestriebs bestehe darin, das Lebendige zum Tode zu führen; der Gegenspieler Eros verhindere einen raschen Erfolg, denn in unserem Handeln "legieren" sich die Triebe. So werde die Energie des Todestriebs nach außen gewendet; es komme zu Fremd- statt zu tödlichen Selbstaggressionen. Freud hat hier eindrucksvoll spekuliert; allerdings konnten ihm selbst viele Psychoanalytiker dabei nicht folgen. Eine Wiederbelebung erfuhr der triebtheoretische Ansatz 1963 durch K. Lorenz. Er beschränkte seine Aussagen nicht auf die von ihm systematisch beobachteten Fische und Vögel, sondern generalisierte mit Hilfe von Anekdoten auf den Menschen. Die Popularität, die dieser Ansatz erreichte, liegt wohl darin begründet, dass er einfache Erklärungen anbot und aggressiven Menschen eine Entschuldigung lieferte: Jeder Trieb ist lebensnotwendig und muss befriedigt werden.


S.Freud (Psychoanalyse) hat im Laufe seiner Theoriebildung unterschiedliche Vorstellungen zur Aggression entwickelt. Fasste er sie zunächst als spezielle Ausdrucksform der Libido auf, so begriff er sie etwa ab 1915 als eine Reaktion auf Versagungen und die dadurch auftretenden Unlustempfindungen. Ab etwa 1920 vertrat er schließlich eine dualistische Trieblehre. Neben dem Eros, dem er die libidinösen und die Ich-Triebe zurechnete, nahm er nun einen eigenständigen Todestrieb (Thanatos) an, dessen Ziel er in der Herbeiführung eines spannungslosen Zustandes, in letzter Konsequenz also des Todes, sah. Seine Auffassung, dass Aggression als Folge von Versagungen zu begreifen sei, hat die Frustrations-Aggressions-Hypothese nachhaltig beeinflusst. Dieses vor allem von J. Dollard und N.E. Miller sowie deren Mitarbeitern propagierte Konzept ging ursprünglich davon aus, dass Frustration stets Aggression zur Folge habe. Es wird im Folgenden näher dargestelltt.

Mit der Aggression und der Aggressivität befassen sich zahlreiche, teilweise sehr unterschiedliche theoretische Ansätze: A.Adler, der Begründer der Individualpsychologie, nahm einen Aggressionstrieb an, den er als etwas ansah, was alle Triebe verbindet. Darin sollen all jene unerledigten Erregungen einfließen, die vorhanden bleiben, sobald einem anderen Trieb die Befriedigung verwehrt wird. Diese Funktionsweise des Aggressionstriebs beruht nach Adler auf einer angeborenen organischen Grundlage.

Aufgabe 3: Skizzieren Sie die Instinkt-/Triebtheorien.



Frustrations-Aggressions-Theorie.
Dollard et al. gingen 1939 von zwei bzw. drei Axiomen aus:

1. Dollard-Axiom: "Aggression ist immer eine Folge von Frustration" und
2. Dollard-Axiom: "Frustration führt immer zu einer Form von Aggression". Dieseregten zu kritischen Überprüfungen an, die bald starke Abstriche an derursprünglichen Theorie nötig machten. Heute werden Frustrationen nur noch als eineunter vielen Bedingungen betrachtet (Frustrations-Aggressions-Theorie); und
3. Dollard-Axiom: Je stärker die Frustration sei, desto intensiver die aggressiveReaktion.

Diese sehr apodiktische Aussage hatte auf die Aggressionsforschung zwar großen Einfluss, konnte aber so nicht aufrechterhalten werden. Auf eine Frustration folgt nicht notwendigerweise eine Aggression, und Aggressionen sind nicht in jedem Fall Resultate von Frustrationen (Frustrationstoleranz), so dass Miller die Hypothese schon zwei Jahre später weiterentwickelte: Jede Frustration stelle zwar einen Anreiz für eine Aggression dar, manche Frustration sei aber zu leicht, um aggressives Verhalten auszulösen. Da bei andauernder Frustration der Aggressionstrieb zunehme, sofern die Möglichkeit einer Abfuhr vereitelt wird, bestehe zwar noch ein Bezug zur analytischen Sichtweise, allerdings sei die Ursache aggressiven Verhaltens nicht länger in internalen Faktoren (Aggressionstrieb) zu sehen, sondern bestehe in hinreichend starken bzw. wiederholten Frustrationen als externalen Erfahrungen - in Anlehnung an die soziale Lerntheorie von Bandura, die davon ausgeht, dass Aggression, wie alle anderen komplexen Verhaltensweisen auch, erlernt wird.
R.A./O.Sch.

Aufgabe 4: Stellen Sie die Frustrations-Aggressions-Theorie von Dollard dar.

Lernpsychologische Ansätze.
Es gibt keine spezifische lernpsychologische Aggressionstheorie; es gibt lediglich Lerntheorien, die u.a. auch die Entstehung von Aggressionen erklären können. Die Grundannahme lautet: Aggressionen werden - wie die meisten Verhaltensklassen (z.B. Schreiben, Kochen, Autofahren) - gelernt. Dabei sind drei Lernarten relevant:

1) das klassische Konditionieren (Lernen, Reiz-Reaktions-Lernen) ,
2) das Lernen am Erfolg (Lernen, Instrumentelles Lernen) und
3) das Lernen am Modell (Lernen, Modell-Lernen).

Zu 1
Reiz-Reaktions-Lernen, auch: Klassisches Konditionieren, Klassisches Bedingen, Signal-Lernen, reaktives Lernen (Lernen). Manche Reize (z.B. der Anblick von Nahrung) lösen ein angeborenes Antwortverhalten aus. Solche Reize nennt man unbedingte (ungelernte) Reize; das Antwortverhalten unbedingte Reaktion. Tritt ein neutraler Reiz (der später bedingte Reiz) hinzu, kann es zu einer Reizsubstitution (Reizersetzung) kommen. Der neue Reiz löst die gleiche oder eine sehr ähnliche (bedingte) Reaktion aus wie der ursprüngliche Stimulus (gelernte Reiz-Reaktions-Verbindung). Das Reiz-Reaktions-Lernen wird ursprünglich streng bewusstseinsunabhängig als Verknüpfung von Reiz und Reaktion erklärt und spielt eine bedeutende Rolle z.B. in der Verhaltenstherapie und Werbepsychologie.
Mit Hilfe des klassischen Konditionierens kann man v.a. affektive Reaktionen (Ärger/Wut) und die Bildung negativer Einstellungen erklären. Wenn uns z.B. jemand heftig geärgert hat, genügt schon die Nennung seines Namens, um wieder einen Affekt auszulösen.

"Zentrale Aussagen

1. Definition: Klassische Konditionierung (von der Universität Bielefeld)



2. Das Grundprinzip

Die Theorie des Klassischen Konditionierens beruht auf einem einfachen Grundprinzip, das im folgenden anhand eines Beispiels erläutert wird:


(a) Vor der Konditionierung

Nehmen wir einen Reiz, der vom menschlichen Organismus automatisch mit einer reflexartigen Reaktion beantwortet wird (= unkonditionierter Stimulus [US]). Für unser Beispiel soll dies eine Zitrone sein. Unmittelbar auf die Wahrnehmung der Zitrone fließt beim Menschen Speichel. Der Speichelfluss wird als unkonditionierte Reaktion (UR) bezeichnet, da er nicht antrainiert wurde.

Im nächsten Schritt ziehen wir einen neutralen Reiz (NS) hinzu. Als neutral gilt der Reiz, wenn er zu keiner spezifischen Reaktion führt. Für unser Beispiel wird als neutralen Reiz eine Karotte dienen.



(b) Konditionierung

Der neutrale Reiz Karotte wird nun in zeitlicher Nähe zum unkonditionierten Stimulus Zitrone dargeboten. Als Reaktion auf die Zitrone fließt weiterhin Speichel.



(c) Nach der Konditionierung

Nach einigen Durchgängen löst die Karotte auch ohne Auftreten der Zitrone den Speichelfluss aus. Die Karotte ist zu einem konditionierten Stimulus (CS) geworden. Der Speichelfluss in Reaktion auf die Karotte gilt als konditionierte Reaktion (CR). Die konditionierte Reaktion ist das Ergebnis eines Lernvorgangs, bei dem durch die Assoziation zwischen den dargebotenen Reizen eine Reizkopplung hergestellt wurde.



3. Wichtigen Faktoren des Lernprozesses

Entscheidend für die Ausbildung des Lernprozesses beim Klassischen Konditionieren sind in erster Linie die folgenden Faktoren:

1. Anzahl der Durchgänge bei denen US und CS zusammen dargeboten werden
2. Zeitliche Relation zwischen US und CS (=>siehe Kontiguität)
3. Intensität / Qualität von US und/oder CS
4. Variable des lernenden Organismus"

Zu 2: Lernen am Erfolg
Wichtiger ist jedoch das Lernen am Erfolg: Verhalten, das mehrmals zum Erfolg führt, wird beibehalten und bei passender Gelegenheit wiederholt.
Instrumentelles Lernen, auch: Lernen am Erfolg, operante Konditionierung, instrumentelle/instrumentale Konditionierung. Wir sprechen von "instrumentell", weil das Verhalten das Instrument oder Mittel ist, das die entsprechende Konsequenz hervorruft. In der Regel wird erst durch häufig wiederkehrende, gleichförmige Konsequenzen allmählich ein stabiles instrumentelles Verhalten gelernt. Es lassen sich vier Formen des instrumentellen Lernens unterscheiden: positive Verstärkung (dem Verhalten folgt ein positives Ereignis); negative Verstärkung (dem Verhalten folgt das Verschwinden eines aversiven - unangenehmen - Ereignisses); Bestrafung: (dem Verhalten folgt ein unangenehmes Ereignis); Löschung (dem Verhalten folgt weder ein angenehmes noch ein unangenehmes Ereignis). Instrumentelles Lernen ist motivationsabhängig. Die Konsequenzen eines Verhaltens führen nur dann zum Auf- oder Abbau dieses Verhaltens, wenn sie einem bestimmten Motiv entsprechen. Instrumentelles Lernen ist situationsabhängig. Der Lernprozess findet unter bestimmten situativen Bedingungen statt, und das Verhalten wird später nur in ähnlichen Situationen gezeigt. Das instrumentelle Lernen führt zu einem gewohnheitsmäßigen Verhalten. Es ist motiviert und zielgerichtet, aber eng an bestimmte Situationen gebunden und erscheint deswegen relativ starr

Zu 3: Lernen am Modell
Besondere Bedeutung kommt dem Lernen am Modell zu:
Definition: Modellernen, auch: Beobachtungslernen, Lernen am Modell, Imitationslernen, Nachahmung, eine Handlung, mit der absichtlich oder unabsichtlich eine vorher beobachtete Handlung eines Vorbilds (Modells) ausgeführt wird. Voraussetzung dafür ist u.a., dass die verstärkenden Konsequenzen des Modellverhaltens wahrgenommen werden. Während der Beobachtungszeit muss die zu imitierende Reaktion nicht gleichzeitig ausgeführt werden. Der Lernprozess wird durch die stellvertretende Verstärkung gesteuert. Das heißt: Man lernt nicht nur aus eigenem Schaden oder Nutzen, sondern auch aus dem miterlebten Schaden und Nutzen von anderen Personen

Das Lernen am Modell wurde sehr intensiv von Albert Bandura erforscht.


„ ['], Bandura. Albert, amerikanischer Psychologe kanadischer Herkunft, *Mundare (Provinz Alberta) 4.12. 1925; Begründer der »sozialen Lerntheorie«, erklärt menschliches Verhalten wesentlich aus Lernprozessen an den Vorbildern der sozialen Umwelt. „


Erheblichen Aufschwung erfuhr die lerntheoretische Deutung der Aggression durch die Arbeiten von M. Bandura und dessen Mitarbeitern, die auf die Bedeutung des Imitationslernens für den Aufbau aggressiver Verhaltensweisen hinwiesen und damit zugleich die in jüngerer Zeit verstärkte Diskussion über die Frage entfachten, ob und inwieweit Gewaltdarstellungen in Massenmedien Aggressionsbereitschaft steigern und Nachahmungseffekte haben.
"Vereinfacht kann das Modelllernen durch die nachfolgenden zwei Phasen bzw. den darin verankerten Prozessen dargestellt werden:
1. Aneignungsphase: Aufmerksamkeitsprozesse
Der Beobachter konzentriert seine Aufmerksamkeit auf das Modell und beobachtet es. Er schaut genau hin und nimmt das Modell bewusst wahr. Der Beobachter wählt dabei Verhaltensweisen aus, die ihn besonders interessieren.
2. Aneignungsphase: Behaltensprozesse
Ein beobachtetes Modellverhalten kann manchmal erst längere Zeit nach dem Beobachten gezeigt werden. Dazu ist das beobachtete Verhalten im Gedächtnis gespeichert worden.
3. Ausführungsphase: Reproduktionsprozesse
Das beobachtete Verhalten wird nachgeahmt, indem der Beobachter sich an das gespeicherte Verhalten erinnert. Dieses Verhalten wird nachgeahmt, indem die Bewegungsabläufe wiederholt werden.
4. Ausführungsphase: Verstärkungs- und Motivationsprozesse
Der Beobachter wird verstärkt, weil er den Erfolg seines eigenen Verhaltens sieht. Schon wenn der Beobachter erste Fortschritte sieht, wird sich diese Feststellung des erfolgreichen Verhaltens verstärkend auswirken.

Modellernen

Bildquelle: Angermeier, Bednorz & Schuster (1991, 141) Ein Modell wird nachgeahmt (bewusst und unbewusst), da das Verhalten bzw. die Fähigkeit des Modells (das Modellverhalten) zu einer positiven Konsequenz geführt hat. Eine Person (Modell) wird beobachtet. Erscheint das Modellverhalten als sinnvoll und ist es dem Nachahmenden (Lernenden) möglich, dieses Verhalten zu imitieren, so wird das Verhalten nachgeahmt (imitiert). Durch das Modelllernen kann sich der Lernende Erfahrungen eines Modells zunutze machen.
"[...] er bringt diese in einen sinnvollen Zusammenhang und imitiert, was sozial gesehen vorteilhaft ist. Diese sinnvollen Zusammenhänge werden über vermittelnde Prozesse, über Denkprozesse hergestellt." Angermeier (1978, 26)

"Damit Beobachtungslernen stattfindet, muss der Beobachtende das Modell aufmerksam beobachten, das beobachtete Verhalten behalten können, sowie fähig und motiviert sein, es auszuführen." Langfeldt (1996, 107)
"Der Beobachter muß das Modellverhalten sehr genau beobachten und es lernen im Sinne von behalten." Linden & Hautzinger (1996, 234)"


Durch das Beobachten von Modellen, die sich aggressiv verhalten, können v.a. Kinder genau dieses Verhalten lernen. Manche Eltern, manche Erzieher sind aggressiv, und alle Massenmedien bieten eine Vielfalt aggressiver Modelle an. Das Risiko ist groß, dass noch ungefestigte Menschen die vorgeführten Aggressionen als Mittel zu Problemlösungen "erkennen" und bei Bedarf einsetzen (bei gefestigten, reflexiven Persönlichkeiten können aggressive Modelle eher einen Bumerangeffekt bewirken). Es geht beim Lernen am Modell jedoch insgesamt weniger um Imitationen als darum, dass erfolgreiche aggressive Modelle allmählich Einstellungen verändern, Gefühle gegen Gewalt abstumpfen lassen, bei anderen aber auch Ängste vor Gewalt erhöhen. Entgegen den Annahmen einer sog. Katharsishypothese befreit uns das Beobachten von Gewalt nicht von eigenen Aggressionsneigungen. Fatal wird Konsum von Mediengewalt für solche Kinder, die in ihrer Familie auch reale Gewalt erfahren. Diese "doppelte Dosis" von Gewalterleben steigert die Wahrscheinlichkeit abweichender Entwicklungen bis hin zur Kriminalität. Wer lernpsychologische Standpunkte vertritt, wird weder relevante angeborene Faktoren (z.B. die größere Kraft beim männlichen Geschlecht, die physische Aggressionen begünstigt) noch gesellschaftliche Einflüsse vernachlässigen.

Psychologische Theorien allein können nicht alle Aggressionen hinreichend erklären. Sie können nur einen bescheidenen Beitrag leisten, wenn es z.B. gilt, Krieg und Frieden (Friedensforschung) zu analysieren.

Aufgabe 5: Stellen Sie die drei klassischen Lerntheorien dar und erklären Sie wie Aggression nach diesen Theorien entstehen kann.

Aufgabe 6: Erstellen Sie eine Graphik zu den klassischen Lerntheorien. Nehmen Sie ein DIN-A3 Blatt und stellen Sie Ihre Zeichnung im Plenum vor.

Katharsishypothese
Katharsis-Hypothese, von griech. katharsis = Reinigung, im Zusammenhang mit Gewalt in den Medien v.a. von Medienvertretern vorgetragene und in den letzten Jahren heftig diskutierte Theorie, der zufolge die Beobachtung von aggressiven und gewalttätigen Handlungen anderer, speziell in Film, Fernsehen und Computerspielen, der unschädlichen Abfuhr eigener Aggressivität diene. Eine empirische Bestätigung dieser Annahme liegt bisher nicht vor, zunehmende Jugendkriminalität und -gewalt scheinen sogar eher die gegenteilige Vermutung nahe zulegen.

Aufgabe 7: Skizzieren Sie kurz die Katharsistheorie und suchen Sie im Internet nach Gründen warum diese Theorie als überholt gilt.

Kontrolle und Modifikation
Aggressionen bereiten Sorgen; immer wieder wird ein Anstieg von Gewalt beklagt, und man möchte gegensteuern. Je nach politischem und psychologischem Standpunkt fallen entsprechende Empfehlungen sehr unterschiedlich aus. Wer Mängel in gesellschaftlichen Strukturen als Nährboden großer Aggressionen ansieht, wird gesellschaftliche Veränderungen fordern. Wer mehr die individuelle Verantwortung betont, neigt z.B. dazu, das Heil von (stärkeren) Strafen (Bestrafung, Lernen) zu erwarten. Diese politischen Gedanken werden von psychologischen durchdrungen. Nach einer triebtheoretischen Position (Triebtheorie) muss die ständig fließende Aggressionsenergie kanalisiert werden; der Versuch, sie zu unterdrücken, erhöht das Risiko eines unkontrollierten Ausbruchs. Wer auf dem Boden der Frustrations-Aggressions-Theorie steht, wird Reduzierungen großer Frustrationen verlangen; auch Verschiebungen von Aggressionen erscheinen sinnvoll. Als richtig gilt es, hohe Aggressionsenergien durch mehrere kleine Aggressionen abzubauen. Aus lernpsychologischer Sicht ist es möglich, den Aufbau nennenswerter Aggressivitäten zu vermeiden bzw. übermäßig entwickelte Aggressivitäten zu reduzieren. Bei Kindern bewährt sich die differentielle Verstärkung: Erwünschtes Verhalten wird bekräftigt, unerwünschtes Verhalten bleibt möglichst unbeachtet. Strafen dürfen nur in bestimmten Formen und klar beschriebenen Kontexten eingesetzt werden.

„Lorenz Dampfkesseltheorie
Eine namentlich von K. Lorenz vertretene Konzeption zur Erklärung aggressiven Verhaltens legt Ergebnisse der Verhaltensforschung zugrunde. Demzufolge werden durch endogene (innere) Reizproduktion ständig aggressive, nach Entladung drängende Impulse erzeugt. Fehlen angemessene Auslöserreize, könne sich die angestaute aggressive Triebenergie auch spontan entladen (Dampfkesseltheorie). Folglich soll das (reale oder durch bloße Beobachtung stattfindende) Ausleben von Aggressionen die aggressiven Tendenzen vermindern (Katharsishypothese), wozu therapeutisch Gelegenheit gegeben werden muss.

Aggressive Impulse stauen sich bis zu einem gewissen Punkt auf, an dem sie sich
entladen, sich also das "Ventil des Dampfkessels öffnet". Auf diese Entladung folgt eine Ruhephase, darauf die Wiederaufladung.
Äußere Reize können also das Ventil öffnen, sind aber nicht die Ursache der Aggression. Es kann sogar ohne gegebenen Reiz eine Abreaktion erfolgen (sog. Leerlaufreaktion).
Die Begründung für Aggression ergibt sich bei Lorenz aus ihrer arterhaltenden Funktion. Sie ist also ein natürlicher Mechanismus zur Sicherung der Arterhaltung. Wie auch bei vielen Tierarten zu beobachten, regelt Aggression, z.B. durch Rivalenkämpfe, die Verteilung der Individuen im jeweiligen Lebensraum sowie die Bildung von Rangordnungen, Hierarchien.
Letztlich ist Aggression ein Katalysator der intraspezifischen Selektion im Zuge der Evolution.

Kritik
Diese Theorie wird aus verschiedenen Gründen weitestgehend abgelehnt:
o So wurden z.B. in vereinzelten pathologischen Fällen spontane Gehirnaktivitäten in Verbindung mit Wutausbrüchen beobachtet.
o Außerdem lässt sich der Aggressionstrieb (bzw. die entsprechenden neurologischen Vorgänge) nicht im Gehirn lokalisieren.

Konrad, Lorenz
Es besteht die Gefahr der Pseudoerklärung. Das heißt, dass man jede aggressive Verhaltensweise mit dieser Theorie "entschuldigen" könnte.

Konrad, Lorenz österreichischer Verhaltensforscher, *Wien 7.11. 1903, ebenda 27.2. 1989; erforschte v.a. die stammesgeschichtliche Entwicklung des den Tieren angeborenen Verhaltens (u.a. Untersuchungen an Graugänsen). Er erkannte die Bedeutung des Zusammenwirkens angeborener und erworbener (andressierter) Anteile im Verhalten höherer Tiere (Instinkt-Dressur-Verschränkung) und entdeckte das Phänomen der ethologischen Prägung. Lorenz erhielt 1973 (mit N. Tinbergen und K. von Frisch) den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Aufgabe 8: Beurteilen Sie aus Ihrer persönlichen Sicht die Dampfkesseltheorie Lorenz. Begründen Sie Ihre Ausführungen

Kognitive Ansätze
Etwa seit einem Jahrzehnt werden in der Aggressionsforschung vermehrt kognitive Theorieansätze diskutiert, deren pädagogische Bedeutung sich u.a. im Zusammenhang zwischen Aggression und moralischen Überzeugungen zeigt. In komplexen kognitiven Prozessen, so die Annahme, bewertet das Individuum die Berechtigung der von ihm empfundenen Frustration, ehe es handelt. Dabei kann es die einem Angreifer zuzuschreibende Absicht in seine Überlegungen einbeziehen und so das Stadium der einfachen Reaktion verlassen.

Eine wichtige Grundhaltung für den Umgang mit Aggressionen von Kindern und Jugendlichen besteht darin, diesen nicht einseitig und pauschal mit mehr oder minder sublimen Strafen (Schläge, Liebesentzug, Zensuren) zu begegnen, sondern eher die aggressiven Tendenzen der Erzieher wie der zu Erziehenden auf ihre Ursachen hin zu untersuchen.“

Gegenwärtige Trends
Immer wieder stellen sich in der Aggressionsforschung neue Probleme oder alte Probleme mit plötzlich gesteigerter Dringlichkeit. Zum Beispiel thematisierte die "Gewaltkommission" (Schwind & Baumann 1990) noch nicht die sexuelle Gewalt gegen Kinder (sexueller Missbrauch). In den letzten Jahren haben sich die Themen der Aggressionsforschung stark ausdifferenziert; sie begegnen uns jetzt zumeist unter dem Etikett "Gewalt". Man denke an die sich überschneidenden Bereiche "Gewalt in den Medien" ( Mediengewalt), "Gewalt in der Familie" (gegen Kinder, Partner, alte Menschen), "Kinder- und Jugendkriminalität", "Gewalt in der Schule", "Gewalt am Arbeitsplatz" (Mobbing), sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder einschließlich (Kinder-) Pornographie, "Gewalt im Straßenverkehr", "Gewalt im Sport" (Sportpsychologie), "Gewalt gegen Ausländer", "politischer Extremismus", "Terrorismus", "Krieg". Zu vielen Themen wird vielerorts in der Psychologie und - was besonders nötig ist - interdisziplinär geforscht. Auch ist in einigen Arbeitsfeldern eine leichte Verschiebung der Akzente erkennbar: Präventive Maßnahmen (Prävention) haben gegenüber therapeutischen Überlegungen an Bedeutung gewonnen. Viel bleibt noch zu tun - auch in der Umsetzung der bereits vorliegenden Ergebnisse und Empfehlungen
Aufgabe 9: Zeichnen Sie das folgende Schaubild ab und erklären Sie anschließend den Inhalt.

Aufgabe 10: Entwerfen Sie ein eigenes kurzes Fallbeispiel das sich durch den Inhalt des Schaubildes erklären lässt.

Quelle: http://www.xn--sozialpdagogin-cib.at/img/aggress_schema.gif




Training mit aggressiven Kindern
Tokensystem nach Petermann und Petermann
Inhalt:
1. Allgemeine Vorgehensweise
1.1 Defizite aggressiver Kinder
1.2 Ziele des Trainings mit dem Kind
1.3 Aufbau des therapeutischen Vorgehens
1.4 Ziele für das Einzel- und Gruppentraining
1.5 Motivierung
1.6 Praktisches Vorgehen
1.7 Stundenablauf für Einzel- und Gruppentraining
2. Einzeltraining
2.1 Rahmenbedingungen
2.2 Erstkontakt
2.3 Einzeltrainingsphase
2.3.1 1. Stunde: Konfrontation mit Konfliktsituationen
2.3.2 2. Stunde: Vorhersehen von Konsequenzen
2.3.3 3. Stunde: Bildinformationen verstehen und in Worte fassen
2.3.4 4. Stunde: Kritische Selbsteinschätzung
2.3.5 Allmähliche Steigerung des Schwierigkeitsgrades
3. Gruppentraining
3.1 Rahmenbedingungen
3.2 Gruppenzusammensetzung
3.3 Erstkontakt
3.4 Gruppentrainingsphase
3.4.1 1. Stunde: Diskussionsregeln erstellen
3.4.2 2. Stunde: Einfühlungsvermögen üben
3.4.3 3. Stunde: Mit Wut fertig werden
3.4.4 4. Stunde: Lob, Nicht-Beachtung und Tadel erfahren
3.4.5 5. Stunde: Eigenes Verhalten widerspiegeln
3.4.6 6. Stunde: Angemessenes Verhalten stabilisieren und immunisieren
3.4.7 Allmähliche Steigerung des Schwierigkeitsgrades
4. Kritische Therapiesituationen
4.1 Ursachen
4.2 Lösungsvorschläge
5. Grafiken
________________________________________

Thema: Training mit aggressiven Kindern:
Praktische Durchführung des Programms von Petermann und Petermann
( Einzel- und Gruppentraining )

1. Allgemeine Vorgehensweise
Ziel des therapeutischen Vorgehens wird es sein, die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Problemlagen aggressiver Kinder ausreichend zu berücksichtigen. Deshalb soll zunächst auf die Defizite dieser Kinder eingegangen werden.

1.1 Defizite aggressiver Kinder
Aggressive Kinder bemerken oft nicht, dass sie mit ihrem Verhalten Unfreundlichkeit, Abwehr oder sogar Aggression provozieren; also erleben sie die Reaktionen der Umwelt nicht als Konsequenzen ihres Handelns. Oft sind sie sich sogar ihres aggressiven Verhaltens gar nicht bewusst. Meist verfügen diese Kinder über eine nur mangelhafte Beobachtungs- und Einfühlungsfähigkeit. Sie neigen auch dazu, sich zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen, deshalb erleben sie oft jede Kleinigkeit als Frustration. Zudem sind jüngere aggressive Kinder eher schlechte Konfliktlöser, das heißt sie sind meist einfallslos beim Suchen von Lösungen. Sie überlegen weniger schnell und weniger gut Alternativen zu aggressivem Verhalten. Außerdem setzen sie sich sehr deutlich über ausgehandelte Regeln hinweg und können ihre impulsiven Wutreaktionen schlecht kontrollieren.
1.2 Ziele des Trainings mit dem Kind
Im Training mit dem Kind sollen nun diese Defizite ausgeglichen werden durch das Wiederholen grundlegender Fertigkeiten und deren Einüben mit unterschiedlichem Material.
Das Kind soll Gründe und Zusammenhänge seines aggressiven Verhaltens durchschauen, was eine wichtige Voraussetzung für Selbstbeobachtungs- und Selbstkontrollfähigkeiten sowie für eine differenzierte Wahrnehmung ist.
Die Fantasietätigkeit des Kindes soll durch das Suchen nach alternativen Lösungen angeregt werden; denn so lernt das Kind, Konfliktsituationen in Gedanken zu bewältigen, was dann zum Abbau von Aggression führen wird.
Auch soll im Training eine Reaktionszeitverzögerung erreicht werden, damit das Kind die Chance hat, weniger Fehlurteile und voreingenommene Entscheidungen zu treffen bzw. mehr angemessene Handlungsalternativen zu entwickeln.

1.3 Aufbau des therapeutischen Vorgehens
Der Aufbau des therapeutischen Vorgehens wird im Einzelnen in Abbildung 4 verdeutlicht
Auf der senkrechten Achse abgetragen erkennt man drei Interventionsebenen: das Kind, die Eltern und den Lehrer.
Die Arbeit mit dem Kind gliedert sich in das Einzel- und Gruppentraining. Dabei umfasst sowohl das Einzel- als auch das Gruppentraining eine Erstkontaktphase und eine eigentliche Trainingsphase. Im Einzeltraining arbeitet das Kind durchschnittlich 6-8 Stunden mit dem Therapeuten alleine, davon entfallen 2-3 Stunden auf den Erstkontakt. Die Einzeltrainingsphase umfasst 4-6 Sitzungen à 60 Minuten, sie kann aber auf maximal 8 Stunden ausgeweitet werden. Danach erfolgt eine 2-4 stündige Kennenlernphase in der Kindergruppe. Im Anschluss daran wird das Gruppentraining durchgeführt. Dieses umfasst 6-10 Sitzungen.
Auf der zweiten Interventionsebene der Eltern wird eine trainingsbegleitende Elternberatung durchgeführt.
Die Kontakte mit dem Lehrer schließlich beschränken sich auf zwei Treffen, in denen lediglich der Klassenlehrer über die therapeutische Arbeitsweise ausführlich informiert und nach seinen Beobachtungen gefragt wird.
Die verschiedenen Interventionsebenen sollen eine möglichst genaue Indikation ermöglichen und einen langfristigen Erfolg des Trainings sicherstellen.
Auf der waagerechten Achse abgetragen ist der Zeitverlauf in Monaten, das heißt die Dauer des Trainings beträgt 6-7 Monate , kann aber flexibel bei lernschwachen oder sehr ungeduldigen Kindern auf 9-10 Monate ausgedehnt werden.

1.4 Ziele für das Einzel- und Gruppentraining
Ziele im praktischen Vorgehen des Einzeltrainings sind, Techniken der Selbstkontrolle zu wiederholen, das Kind mit Alternativen zum bisherigen aggressiven Verhalten bekannt zumachen und es für die strukturierten Gruppensitzungen vorzubereiten, wobei insbesondere ein Lerngleichstand der später in einer Kindergruppe zusammen gefassten Kinder angestrebt wird.
Das Kind für die Gruppensitzungen vorzubereiten meint, dass es für die Verhaltensübungen des Gruppentrainings sensibilisiert wird, und dass hinderliche Wahrnehmungsverzerrungen sowie das Gefühl des Sich-Bedroht-Fühlens abgebaut werden sollen.
Im Gruppentraining soll die bereits im Einzeltraining eingeleitete Verhaltensmodifikation stabilisiert werden; dazu wird angemessenes, sozial erwünschtes Konfliktlöseverhalten im Rollenspiel eingeübt; das heißt die Kinder sollen in thematisch vorgegebenen Rollenspielen ihr Wissen und die Regeln für positives Verhalten in Handeln umsetzen und neues Verhalten üben.

1.5 Motivierung
Die Motivierung aggressiver Kinder zur Mitarbeit in der Therapie ist im allgemeinen schwierig, denn sie erkennen ihr unangemessenes Verhalten nicht als Problem bzw. leugnen es, zumal ihr aggressives Verhalten oft erfolgreich ist und sie selbst nicht darunter leiden.
Abgesehen davon sträuben sie sich oft gegen Anforderungen jeder Art, sei es auch nur die Einschränkung ihrer Freizeit um eine Stunde in der Woche aufgrund des Trainings.
Für die Motivierung dieser Kinder ist zum einen eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Therapeut und Kind, zum anderen das Erzeugen eines Verpflichtungsgefühls durch den Therapeuten bedeutsam. Auch können soziale Verstärkungsprozesse wie Loben, Anerkennung zeigen oder Anspornen zur Motivierung eingesetzt werden.

1.6 Praktisches Vorgehen
Im Training wird mit dem Kind erarbeitet, wie es in schwierigen Situationen besser zurechtkommt, das heißt es werden ihm neue Konfliktlösungen gezeigt und Teilfertigkeiten eingeübt; dabei wird im allgemeinen schrittweise hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades vorgegangen. Das therapeutische Vorgehen ist in eine notwendige Abfolge von Phasen gegliedert, die jeweils durch ein klar definiertes Therapieziel abgesteckt sind. Innerhalb dieser Phasen kann der Therapeut nach einem flexiblen Baukastensystem vorgehen, das heißt er wählt aus der Vielzahl sehr unterschiedlicher Materialien die für das Kind geeigneten individuell aus und kann das Lerntempo variieren, indem er z.B. bei sehr ungeduldigen oder lernschwachen Kindern den Inhalt einer Stunde auf zwei Sitzungen verteilt.

1.7 Stundenablauf für Einzel- und Gruppentraining
Der Stundenaufbau einer Trainingssitzung bleibt im Einzel- und Gruppentraining konstant. Dieser äußere Rahmen soll als roter Faden dienen und dem Kind Orientierung und Sicherheit bieten.
Jede Stunde wird eingeleitet mit der Auswertung der Verhaltensübung; der Therapeut lässt das Kind erzählen und sammelt Informationen über das Verhalten und über eventuelle Fortschritte des Kindes.
Nach dieser 5-minütigen Einleitung folgt ein Entspannungs- und Ruhetraining von 5-8 Minuten. Dieses wird nicht zum Selbstzweck durchgeführt, das heißt davon wird zunächst keine Verringerung aggressiven Verhaltens erwartet, sondern das Kind soll motorisch ruhig werden und seine Anspannung abbauen, um Lernbarrieren entgegenzuwirken und eine kognitive Umstrukturierung bzw. eine Verhaltensmodifikation zu ermöglichen.
Auf diese Weise wird das Kind für die Anforderungen des eigentlichen Trainings aufnahmebereiter.
Im praktischen Vorgehen werden die Entspannungsinstruktionen - hier Ruhe-, Schwere- und Wärmeinstruktion - in eine Fortsetzungs-Geschichte eingebettet; und zwar in eine Unterwassergeschichte, angelehnt an Jules Vernes „ 20 000 Meilen unter dem Meer“, die sogenannte Kapitän-Nemo-Geschichte:
Kapitän Nemo lädt das Kind auf sein Unterwasserboot Nautilus ein und unternimmt mit ihm von dort aus Unterwasserausflüge.
Beispiele solcher Erlebnisse für Unterwasserausflüge sind: Aufsuchen einer Walfischherde, Besuch einer Unterwasserstadt, Schwimmen durch einen Korallenwald, Aufsuchen einer Herde von Seepferdchen, Finden von Delphinen, Aufsuchen einer Unterwasserhöhle usw.
Um die Entspannungsinstruktionen zu erlernen, werden minimal vier Kontakte mit dem Kind benötigt.
Im Anschluss an das Autogene Training folgt die eigentliche Trainingsarbeit, die ungefähr eine halbe Stunde umfasst. Dem Kind wird jeweils eine Konflikt-Angst-Streitszene aus dem Kinderalltag vorgegeben; die Auswahl der Situationen orientiert sich also am sozialen Umfeld des Kindes, das bei 7-13 -Jährigen hauptsächlich durch Schulkameraden, Freunde, Eltern, Geschwister, Lehrer und evtl. sonstige Erwachsene bestimmt ist.
Die Geschichten sollten so ausgewählt werden, dass die Situationen dem Problemverhalten des Kindes möglichst nahe kommen; außerdem sollten alle zu trainierenden sozial erwünschten Verhaltensweisen abgedeckt werden, was am einfachsten zu erreichen ist, wenn der Therapeut Geschichten mit jeweils anderen Schwerpunkten aussucht.
Beispiele für die Inhalte dieser Geschichten sind: „Was soll ich mit anderen spielen?“, „Fernsehen ist schöner als ins Bett gehen“, „Ich habe keine Lust, aufzuräumen!“, „Streit um Süßigkeiten“, „Dirk wird gehänselt“, „Tischfußball“ u.ä.
Zu den vorgegebenen Konfliktsituationen, die als kurze Videosequenzen, als Fotogeschichte mit Dialog , als Bildgeschichte, oder in Form einer Geschichte zum Vorlesen vorliegen, sucht nun das Kind nicht - aggressive Lösungen und übt diese angemessenen Lösungen im Rollenspiel ein.
Anschließend erfolgt eine Übertragung auf den Alltag , indem das Kind eine selbsterlebte Geschichte erzählt und wiederum „gute“ Konfliktlösungen diskriminiert. So soll eine Verbindung zur Erlebniswelt des Kindes hergestellt werden.
Anschließend erhält das Kind eine Aufgabe zur Selbstbeobachtung und Verhaltensübung, die es selbständig außerhalb der Trainingsstunde durchführt. Dadurch soll die Übertragung angemessenen Konfliktlöseverhaltens erleichtert werden. Im praktischen Vorgehen erhält das Kind jede Woche den sogenannten Detektivbogen, in den es täglich seine Verhaltensbeobachtungen einträgt, dementsprechend, ob es eine in der Sitzung festgelegte Regel eingehalten hat oder nicht.
Beispiele
Beispiele für solche Regeln oder Verhaltensübungen sind: „Heute bin ich zu meinem Bruder nett und freundlich“ oder „Heute liege ich um acht Uhr im Bett“. Zu beachten ist dabei, dass das zu beobachtende oder zu übende Verhalten, die Situation, in der es gezeigt werden soll und die Personen, auf die es sich bezieht, konkret abgesprochen sein müssen.
Als zusätzliche Erinnerungshilfe werden Instruktionskarten eingesetzt. Das sind kleine Karten, die das Kind mit nach Hause nimmt und mehrmals am Tag durchlesen und danach handeln soll. Instruktionen auf solchen Karten sind z.B: „Ich bleibe ruhig!“ oder „Ich zähle zuerst bis 20 bevor ich handele!“.
Während der Trainingsarbeit wird ein Tokensystem eingesetzt, um eine Kopplung des Wissens um Handlungen und deren Konsequenzen zu erreichen. Genauer gesagt, soll ein direkter Zusammenhang von Verhalten und Konsequenzen nach dem Premack-Prinzip hergestellt und dadurch das Kind motiviert werden, konzentriert mitzumachen.
Die Anzahl der Punkte zeigt, welche Fortschritte es gemacht hat und natürlich, wie lange es spielen darf.
Konkret wird während der Trainingsarbeit alle 10-15 Minuten, also ca. dreimal pro Stunde, unterbrochen, um für das Einhalten von einem Regelverhalten seitens des Kindes Punkte zu vergeben. Dabei schätzt sich zunächst das Kind selbst kritisch ein, dann erfolgt eine Einschätzung durch den Therapeuten.
Beispiele aus der Regelliste für das Tokenprogramm sind: „Ich lasse den anderen ausreden!“, „Ich erzähle eine Geschichte genau!“, „Ich habe Geduld mit mir!“, „Wenn ich mit jemandem zusammen bin, dann zappele ich nicht herum und meine Hände sind ruhig !“ usw.
Bei jeder Punktvergabe kann das Kind maximal zwei Punkte erreichen. Die ersten zwei Punkte können am Ende der Sitzung in fünf Spielminuten eingetauscht werden, jeder weitere Punkt ist vier Spielminuten wert.
Zum Abschluss der Trainingsstunde werden dann also die Punkte in Spielminuten eingetauscht, das heißt jede Stunde klingt aus in einer freien Spielphase im Spielzimmer von maximal 20 Minuten.

2. Einzeltraining
2.1 Rahmenbedingungen

Das Kind kann sich unter den relativ günstigen Bedingungen des Einzeltrainings gut kontrollieren. Im Vergleich zum Gruppentraining sind die Anforderungen insofern weniger hoch, als das Kind mehr Beachtung findet, da es den Therapeuten für sich alleine hat. Es kann sich mehr mit Fragen und Erzählen einbringen, ohne Rücksicht auf andere nehmen zu müssen, und es ist weniger ablenkenden Reizen ausgesetzt.

2.2 Erstkontakt
Die Erstkontaktphase dient dazu, dass sich Therapeut und Kind gegenseitig kennenlernen, weiter schließt der Therapeut die Indikation ab und das Kind soll zur Therapiemitarbeit motiviert werden.
Im praktischen Vorgehen zeigt der Therapeut dem Kind zunächst die Räumlichkeiten und erklärt ihm auch die allgemeine Arbeit der Beratungsstelle.
Dann bearbeiten beide gemeinsam Diagnosematerialien in Form von Fragebögen. In der letzten Sitzung des Erstkontaktes erklärt der Therapeut dem Kind die genauen Bedingungen der Zusammenarbeit; u.a. legt er die Dauer des Trainings verbindlich fest, zeigt dem Kind für das Training wichtige Materialien, legt ihm die Unterteilung in Einzel- und Gruppentraining und den Ablauf des Trainings allgemein dar und erklärt den wichtigen Zusammenhang von Trainingsmitarbeit und Spiel am Ende jeder Sitzung.
Zum Abschluss der Erstkontaktphase unterzeichnen beide, Therapeut und Kind, einen Therapievertrag, in dem der Therapeut verspricht, sich an Abmachungen zu halten, und in dem sich das Kind verpflichtet, regelmäßig zum Training zu kommen und auch gut mitzuarbeiten.
So dient der Therapievertrag also der Motivierung des Kindes, indem er ein Verpflichtungsgefühl im Kind hervorruft und ihm eine gewisse Sicherheit bzgl. des Therapeutenverhaltens bietet.

2.3 Einzeltrainingsphase

2.3.1 1. Stunde: Konfrontation mit Konfliktsituationen
Das Kind soll zunächst dem Problem Aggression gegenüber gestellt und so indirekt mit eigenem Verhalten konfrontiert werden. Es soll lernen, differenziert wahrzunehmen, sich in Personen oder Situationen hineinzuversetzen und es soll sich selbst bewusst beobachten. Es soll erwünschte und unerwünschte Konfliktlösungen bewerten und vergleichen, und die Übertragung angemessenen Konfliktlösevehaltens soll durch Verhaltensübungen erleichtert werden. Dem Kind wird zu diesem Zweck eine Videogeschichte mit Konfliktlösungen präsentiert, die es nachvollziehen und bewerten soll.

2.3.2 2. Stunde: Vorhersehen von Konsequenzen
Das Kind soll sich weiter in differenzierter Wahrnehmung üben. In dieser Sitzung soll insbesondere die Beobachtungsfähigkeit verbessert werden. Es soll sich in Situationen und Personen hineinversetzen, Konfliktlösungen selbst bestimmen, angemessene diskriminieren und Konsequenzen vorhersehen. Das Kind bearbeitet eine Fotogeschichte und soll Konsequenzen von 5 vorgegebenen Lösungen vorhersehen.

2.3.3 3. Stunde: Bildinformationen verstehen und in Worte fassen
Ziel dieser Stunde ist es zu lernen, Bildinformationen differenziert wahrzunehmen und diese in verbale Informationen umzuwandeln, das heißt Gedächtnisprozesse (bildhafte und verbale Kodierung) sollen trainiert werden.
Das Kind soll sich wieder in Situationen bzw. Personen einfühlen, Lösungen und Konsequenzen diskriminieren, angemessenes Verhalten üben, Selbstverbalisation als Möglichkeit der Selbstkontrolle erkennen und positive Lösungen imitieren. Diesmal sucht das Kind zu einer Bildgeschichte selbst mehrere Lösungen.

2.3.4 4. Stunde: Kritische Selbsteinschätzung
Ziele der vierten Sitzung sind: Zuhören, Behalten, Wiedergeben lernen, sich wiederholt in Situationen und Personen hineinversetzen, gerechtfertigte und ungerechtfertigte Konsequenzen unterscheiden, sich selbst kritisch einschätzen, eine selbständige Urteilsfähigkeit entwickeln, mit unterschiedlichen Folgen umgehen lernen, sich kompromissbereit verhalten, sich angemessen selbst behaupten und Selbstverbalisation trainieren.
Im sogenannten „ Einschätzungsspiel“ werden dem Kind angemessene und unangemessene Konsequenzen vorgegeben, entsprechend denen es seine eigenen möglichen Reaktionsformen einschätzen und begründen soll. So soll sich das Kind seines eigenen aggressiven Verhaltens bewusst werden.




Der positive Umgang mit negativen Konsequenzen soll in vier Schritten erreicht werden:
1. Beeinflussung der eigenen Wutreaktion durch Selbstinstruktion
(Selbstverbalisation)
2. Bei gerechtfertigten Konsequenzen: Vertrag mit sich selbst schließen in Form des
Vorsatzes, etwas zur positiven Lösung beizutragen.
Bei ungerechtfertigten Konsequenzen: Selbstbehauptung in Form von sozial
erwünschten Reaktionen anstreben.
3. Sich in die Situation des anderen versetzen.
4. Mit dem anderen reden, um gemeinsam den Konflikt zu lösen
(Lösung realisieren).

Zum Abschluss der vierten Einzeltrainingsstunde setzt sich das Kind aktiv und intensiv mit sozial erwünschtem, angemessenem Verhalten auseinander, indem es sich in den einzelnen, konkreten Lösungen malt.

2.3.5 Allmähliche Steigerung des Schwierigkeitsgrades
Der Schwierigkeitsgrad der zu bewältigenden Aufgaben nimmt im Einzeltraining langsam zu. Die Konfliktsituationen werden zunächst in Form eines Videos präsentiert. Später liest der Therapeut nur noch eine Geschichte vor, was ein besseres Einfühlungsvermögen des Kindes und größere Konzentrationsfähigkeit, sowie insbesondere die Bereitschaft zuzuhören erfordert.
Die Konfliktlösungen werden anfangs hauptsächlich vorgegeben, das Kind wird dann langsam dazu geführt, selbst verschiedene Lösungen zu diskriminieren. In der ersten Stunde wird das Kind nur mit dem Problem „ Aggression“ konfrontiert und bis zum Abschluss des Einzeltrainings soll es soweit gebracht werden, dass es sein Problemverhalten erkennt und nicht weiter leugnet.

3. Gruppentraining
3.1 Rahmenbedingungen
Im Gruppentraining muss sich das Kind in relativ komplexen sozialen Situationen zurechtfinden. Es ist einer größeren Anzahl von Einflüssen, in seinen Augen eher bedrohlichen Situationen, ausgesetzt und muss sich den Therapeuten mit anderen Kindern teilen; das heißt schon allein die Rahmenbedingungen im Gruppentraining stellen wesentlich höhere Anforderungen an das Kind, als das im Einzeltraining der Fall war.

3.2 Gruppenzusammensetzung
Die Anzahl der Kinder (alle zwischen 7 und 14 Jahren) in der Kindergruppe sollte 3-4 nicht überschreiten, die Gruppe ist sonst für einen Therapeuten schwer zu lenken. Außerdem ist andernfalls der minimal notwendige Vertrauensaufbau untereinander nicht möglich.
Eine heterogene Gruppenzusammensetzung bzgl. Alter und Geschlecht ermöglicht es, dass sich die Kinder von ihren Fertigkeiten ergänzen , und dass sie soziale Verantwortung füreinander übernehmen.
Heterogenität der Gruppe bzgl. der Aggressionsart soll Konkurrenzkämpfe vermeiden, denn treffen z.B. zwei körperlich aggressive Kinder aufeinander, werden sie austesten wollen, wer der Stärkere ist.
Weiterhin wichtig für die Gruppenzusammensetzung ist die Homogenität bzgl. der Lernvoraussetzungen, gemeint sind damit vergleichbare Lernvoraussetzungen von den Schulleistungen her; so wird eine sinnvolle Arbeit in den Rollenspielen erst möglich.
Lesefertigkeit, Ausdrucksfähigkeit und Auffassungsgabe sollten bei allen Kindern ähnlich ausgebildet sein, damit keine Unter- oder Überforderung entsteht, die oft zu aggressivem Verhalten führt.
Schließlich ist die Gruppe homogen bzgl. der Symptomatik zusammengesetzt, das heißt in der Gruppe sind ausschließlich aggressive Kinder, was schon durch das Programm von Petermann und Petermann bedingt ist. Diese Zusammensetzung ist sinnvoll, da im Training spezifische Fertigkeiten eingeübt werden.

3.3 Erstkontakt
Ziele des Erstkontaktes / der Kennen lernphase in der Kindergruppe sind: das Kennen lernen der Kinder untereinander, die Überprüfung der Gruppenzusammen-setzung, das Erkennen von Verhaltensänderungen, genauer der Änderungen aufgrund des Einzeltrainings, sowie die Motivierung der Kinder.
Die Kinder dürfen während der Treffen des Erstkontaktes 60 Minuten lang spielen, mit wem und mit was sie wollen, dazu steht ihnen der Bastel- und Werkraum und das Spielzimmer zur Verfügung.
Grenzen werden ihnen nur durch wenige notwendige Regeln gesetzt, die die Sachbeschädigung, körperliche Angriffe auf andere und die Verletzung der eigenen Person betreffen. Diese Regeln teilt der Therapeut den Kindern mit und begründet sie auch.
Der Therapeut stellt Verhaltensbeobachtungen an und führt Aufsicht.
Die freie Spielphase ist eine zwanglose, unbelastete Zeit; sie dient dem Ausgleich zum Einzel- und Gruppentraining und somit zur Motivierung.
Auftretende Konflikte können später im Rollenspiel wiederaufgegriffen werden.

3.4 Gruppentrainingsphase
Der Ablauf der Stunden im Gruppentraining ist analog dem im Einzeltraining, also
a) Auswertung des Detektivbogens,
b) Entspannungstraining,
c) Rollenspiele vorbereiten, durchführen, reflektieren,
d) Verhaltensregeln für den Detektivbogen ableiten,
e) Eintausch der Spielminuten,
wobei es aber einige feine Unterschiede gibt:
Die Auswertung der Verhaltensübung erfolgt gemeinsam in der Gruppe. Es werden außerdem zur Veranschaulichung der Fortschritte des einzelnen Kindes graphische Auswertungsbögen der Verhaltensübungen im Therapeutenzimmer aufgehängt, sogenannte Wochenthermometer.
Während des Entspannungstrainings werden alle Kinder gleichzeitig in das Boot Nautilus eingeladen und unternehmen eine gemeinsame Reise mit Kapitän Nemo.
In der Trainingsarbeit wird jetzt der Schwerpunkt durch Rollenspiele und deren Reflexion bestimmt. Im Rollenspiel können die Kinder als Zuschauer am Modell lernen, als Spieler bei Rollentausch verschiedene Perspektiven einnehmen und unterschiedliche Rollen und Erwartungen demonstrieren.
Durch Reflexion und eventuell wiederholtes Spielen wird ein optimaler Lerneffekt erzielt. Wichtig zu erwähnen ist hier noch, dass die Kinder eine gezielte Verhaltensrückmeldung mittels Video- oder Tonbandaufnahmen der Trainingssitzung erfahren.
Grundlegende Prinzipien im Gruppentraining sind also das strukturierte Spiel, gezielte Rückmeldung und Bekräftigung, selbsterlebte Geschichten und Eigenaktivität sowie soziale Hervorhebung nach dem Prinzip der gegenseitigen Verantwortung, in der ein Kind die Rolle des Modellkindes für ein anderes einnimmt.
Im Tokenprogramm geht man zur Gruppenverantwortung für die Spielminuten über; also verdient sich die Kindergruppe gemeinsam die Spielminuten, indem für die gesamte Gruppe ein Regelverhalten festgelegt wird.
Dabei wird auch das Prinzip der wechselseitigen Verantwortung eingeführt; das heißt dass ein Kind als gutes Vorbild für ein spezielles anderes Kind fungiert, gleichzeitig diesem beim Regeleinhalten hilft, indem es z.B. mittels eines Zeichens das andere Kind erinnert. Dieses wiederum soll auf die Zeichen achten und das gewünschte Regelverhalten zeigen.
Bei der Hausaufgabe zur Verhaltensübung im Gruppentraining bleibt eine Regel für jedes Kind für die Zeit des Gruppentrainings konstant, und zwar betrifft diese jeweils ein spezifisches Problem des Kindes, die andere Verhaltensregel variiert in Abhängigkeit des Stundenthemas, das heißt diese Regel greift das Thema der Stunde auf.
Im zweiten Drittel des Gruppentrainings führen dann die Kinder auch das Autogene Training abends im Bett durch, als zusätzliche Aufgabe zu den zwei Verhaltensregeln.

3.4.1 1. Stunde: Diskussionsregeln erstellen
In der ersten Sitzung des Gruppentrainings werden Regeln für strukturierte Rollenspiele und Diskussionsregeln erstellt, dabei sollen die Kinder die Regeln selbst finden und formulieren. So werden die Voraussetzungen einer gemeinsamen Zusammenarbeit sichergestellt, also die Fähigkeit zu minimaler Verständigung und Interaktion überhaupt. In der Reflexionsphase dient eine Videoaufnahme als Verhaltensrückmeldung.

3.4.2 2. Stunde: Einfühlungsvermögen üben
Ziel ist es, das Einfühlungsvermögen weiter zu verbessern, im Umgang miteinander Geduld aufzubringen, das heißt abwarten zu können, nicht gleich wütend zu werden und sich nicht abzuwenden.
Die Kinder spielen das „ Igelspiel“, um sich im Einfühlen in den anderen zu üben: Jeder spielt einmal den, der wie ein Igel zurückgezogen ist und den, der hervorlockt. In der Reflexionsphase werden die Antworten auf Kassettenrekorder aufgenommen.

3.4.3 3. Stunde: Mit Wut fertig werden
In der dritten Stunde sollen die Kinder die Fähigkeit der differenzierten Wahrnehmung vertiefen. Es werden unterschiedliche Äußerungsformen von Wut bzw. Ärgergefühlen gesammelt sowie Möglichkeiten gesucht, mit Wut oder aggressiven Gefühlen umzugehen.
Dabei sollen diese Gefühle nicht verborgen oder unterdrückt werden, sondern die Kinder sollen sich z.B. angemessen selbst behaupten, sich durchsetzen, ihre Meinung sagen etc.
Im praktischen Vorgehen erzählt der Therapeut die Geschichte „ Dirk wird gehänselt“. Diese wird im Rollenspiel umgesetzt und im Anschluss wird erarbeitet, wie unterschiedlich man Wut bzw. Ärger zeigen kann. Die Ursachen werden mithilfe kleiner Rollenspiele herausgefunden und aufgenommen, was wiederum zu einer besseren Einprägung führt.
Wut kann entstehen durch zu viele Verbote, durch Überforderung, Enttäuschung oder durch ungerechtfertigte oder auch gerechtfertigte Kritik. Die Kinder erarbeiten dann verschiedene Formen der schadensfreien Wutäußerung, wie z.B. wegrennen, rausgehen, Sport treiben, alleine sein wollen, in die Luft schlagen usw. Zusätzlich zur Verhaltensübung sollen die Kinder jetzt auch das Autogene Training selbständig abends durchführen.

3.4.4 4. Stunde: Lob, Nicht-Beachtung und Tadel erfahren
In der darauffolgenden Sitzung berichten die Kinder über die Erfahrungen im Umgang mit Wut, die sie in der letzten Woche gemacht haben.
Mittels des „Lob-Tadel-Spiels“ werden Zusammenhänge von Verhalten und Konsequenzen verdeutlicht. Denn wenn sie einsehen, wie sich Lob, Tadel und Nichtbeachtung auf eine Person auswirken, wird ihnen klar, dass sie es größtenteils selbst in der Hand haben, die Art ihrer Beziehung zu anderen zu gestalten. Im Rollenspiel üben die Kinder, anderen positive Rückmeldung zu geben.
Ihre Frustrationstoleranz soll erhöht werden, indem das Verfahren der Selbstkontrolle durch Selbstinstruktionen ebenfalls im Rollenspiel nachvollzogen wird.

3.4.5 5. Stunde: Eigenes Verhalten widerspiegeln
In der fünften Stunde sollen die Kinder alternative Lösungen mit passenden Selbstinstruktionen diskriminieren, sich wiederum differenziert wahrnehmen, indem sie gemeinsam die Videoaufnahme des Rollenspiels ansehen. So gibt der Therapeut eine direkte Verhaltensrückmeldung, und den Kindern soll über die Beurteilung ihres eigenen Verhaltens, ihrer Reaktionen und ihres gezeigten Einfühlungsvermögens eine Verhaltensänderung erleichtert werden. Konkret erhalten die Kinder ein Beobachtungsblatt, auf dem sie notieren, was sie im Rollenspiel gut und was sie nicht gut gemacht haben.

3.4.6 6. Stunde: Angemessenes Verhalten stabilisieren und immunisieren
In der sechsten und abschließenden Stunde werden zunächst wieder die Erfahrungen im Umgang mit Wut ausgetauscht und besonders Beispiele gesammelt, bei denen es gelungen ist, sich bei Wutgefühlen zu beruhigen.
Die Verwendung von Selbstinstruktionen soll vertieft werden, um so die Stabilisierung und Immunisierung positiven Sozialverhaltens zu erleichtern. Weiter soll ein tiefergehendes Regelverständnis erreicht werden. Zu diesem Zweck werden zunächst die positiven Erfahrungen im Umgang mit Wut im Rollenspiel umgesetzt, weitere Verhaltensalternativen werden diskriminiert.
Im anschließenden „Gegnerspiel“ , in dem zwei Kinder Argumente sammeln, warum Regeln hilfreich sind und die anderen Gründe finden, warum sie stören, soll eine Immunisierung bewirkt werden, das heißt die Kinder sollen gegen zukünftige Beeinflussungsversuche „geimpft“ werden, um leichter ihr positives Verhalten aufrechtzuerhalten.
Zum Abschluss des Trainings erhält jedes Kind einen handgeschriebenen Brief des Therapeuten, in dem die Fortschritte des Kindes sowie Punkte, an denen es noch arbeiten muss, notiert sind. Auch bietet der Therapeut dem Kind darin an, mit ihm in Kontakt zu bleiben, um ihm so den Abschied von den anderen Kindern und von ihm zu erleichtern und ihm Hilfe bei eventuell auftretenden Problemen zuzusagen.

3.4.7 Allmähliche Steigerung des Schwierigkeitsgrades
Wie auch im Einzeltraining ist im Gruppentraining eine Steigerung hinsichtlich der Anforderungen zu erkennen. In der ersten Stunde werden die Voraussetzungen geschaffen, in der Gruppe miteinander umzugehen, in der zweiten bis vierten Stunde soll das Kind Gründe und Zusammenhänge des eigenen aggressiven Verhaltens durchschauen. In den letzten Stunden werden dann die Erfahrungen mit positivem Verhalten reflektiert.

4. Kritische Therapiesituationen
Kritische Therapiesituationen entstehen, wenn das Kind ein generelles Verweigerungsverhalten zeigt, sich über Regeln hinwegsetzt oder seine impulsiven Wutreaktionen, die dann meist ungerichtet sind bzw. spontane Aggressionen (wie z.B. einen Wutausbruch) nicht kontrollieren kann. Manchmal zeigt das Kind auch aggressives Verhalten, um den Therapeuten zu provozieren und seine Grenzen auszutesten.
4.1 Ursachen
Als Ursachen dieses kritischen Verhaltens können - entsprechend den Defiziten aggressiver Kinder - genannt werden, dass sich das Kind gegen Anforderungen sträubt, zu sehr auf die eigenen Bedürfnisse fixiert und sehr schnell frustriert ist. Manchmal spielen auch Über- oder Unterforderung eine Rolle.
4.2 Lösungen
Hilfreich ist generell, wenn der Therapeut Ruhe bewahrt und überlegt handelt. Er kann ein Gespräch initiieren und handlungsverzögernde Maßnahmen einsetzen. In hartnäckigen Fällen muss er eventuell unangenehme Maßnahmen ergreifen, indem er natürliche Folgen aufzeigt.
Das heißt z.B., dass das Kind bei generellem Verweigerungsverhalten die Stunde absitzen muss, ohne sich beschäftigen zu dürfen. Im Allgemeinen führt das dazu, dass das Kind dann lieber mitarbeitet, als „sich zu Tode zu langweilen“.
Insgesamt gibt es neun allgemeine und lerntheoretisch begründbare Reaktions-möglichkeiten des Therapeuten; diese sollen hier nur überblicksartig erwähnt werden:

1. Reizdiskrimination
2. Verstärkung
3. Reaktionsunterbrechung gekoppelt mit inkompatiblem Verhalten
4. Rückmeldungsverhalten
5. Modellverhalten
6. Problemklärendes und -lösendes Verhalten
7. Reizkontrolle
8. Unerwartete Therapeutenreaktion
9. Konfrontationsverhalten.
Diese neun Verhaltensweisen können sowohl präventiv als auch beim Auftreten kritischer Situationen angewendet werden.
Aufgabe 11: Fassen Sie den Ansatz von Petermann und Petermann kurz zusammen. Diskutieren Sie anschließend, ob dieser Ansatz heutzutage praktikabel ist.

Literatur
Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett-Cotta.

Dollard, J., Doob, L.W., Miller, N.E., Mowrer, O.H. & Sears, R.R. (1939). Frustration and Aggression. New Haven: Yale University-Press.

Freud, S. (1920). Jenseits des Lustprinzips. Gesammelte Werke, Bd. XIII. London: Imago Press.

Lorenz, K. (1963). Das sogenannte Böse. Wien: Borotha-Schoeler.

Nolting, H.P. (1978). Lernfall Aggression. Reinbek: Rowohlt.

Petermann, F. & Petermann,U. (1978). Training mit aggressiven Kindern. München: Urban & Schwarzenberg. (Siehe unten)

Schwind, H.-D. & Baumann, J. (Hrsg.).(1990). Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Berlin: Duncker & Humblot.
Selg, H., Mees, U. & Berg, D. (1997). Psychologie der Aggressivität (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Wenninger, Gerd, u.a.: „Lexikon der Psychologie, CD-Rom“, Heidelberg, Berlin, Spektrum, 2000 Akademischer Verlag
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2006

















Sozialpädagogisches bzw. therapeutisches Handlungskonzept (allgemein)

In vielen Klausuren werden die Teilnehmer des Leistungskurses Erziehungswissenschaft aufgefordert, ein Handlungskonzept bzw. einen Handlungsplan zu erstellen. Im Folgenden wird darauf eingegangen, in welche Stufen und Phasen sich ein solches Handlungskonzept in der Regel unterteilt.

Zunächst unterscheiden wir zwischen einem therapeutischen Handlungskonzept und einem sozialpädagogischen. Die Grenzen sind hier fließend, sozialpädagogische Interventionen erstrecken sich viele praktische Probleme, so kann im Rahmen eines sozialpädagogischen Handlungskonzeptes sehr wohl die begleitende Hilfe bezüglich eines Wohnungswechsels erfolgen. Ganz praktisch können Sozialpädagogen / innen im Rahmen ihrer sozialen Arbeit Menschen helfen, eine Wohnung zu finden und den entsprechenden Umzug zu organisieren. Derart praktische Hilfe ist im therapeutischen Konzept nicht zu erwarten. Dort erstreckt sich die Hilfe auf psychische Prozesse im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten wie z. B. dem Problem der stoffabhängigen Sucht oder häufiger Gewalt bzw. Aggression. Trotz dieser Unterschiede gibt es Parallelen zwischen dem therapeutischen Handlungskonzept bzw. Plan und dem sozialpädagogischen.

Im Folgenden wird versucht, eine Synthese zwischen dem verhaltensorientierten therapeutischen Handlungskonzept und den Phasen des Unterstützungsmanagement (Case-Management) darzustellen.

Die Aufforderung in Klausuren, ein Handlungskonzept bzw. einen Handlungsplan zu erstellen, beinhaltet nicht einfach die Sammlung von therapeutischen Handlungsideen. Der Unterschied zwischen einer losen Ideensammlung und einem Handlungsplan besteht darin, dass Koordination, Planung und effektive Zielorientierung deutlich werden.



Unterstützungs- Phasen eines therapeutischen bzw. sozialpädagogischen Handlungskonzepts (Handlungsplan)

1. Finde-Phase bzw. Analyse
2. Einschätzung der Lage
3. Planung und Ressourcenvermittlung
4. Handlung bzw. Durchführung der Unterstützung (enthält unterschiedliche therapeutische Interventionen)
5. Bewertung der bisherigen Arbeit und
6. Beendigung des therapeutischen bzw. sozialpädagogischen Prozesses

(WICHTIG: Sollten Sie in Klausuren aufgefordert werden ein pädagogisches und/ oder therapeutisches Handlungskonzept bzw. einen Handlungsplan zu erstellen, so sollen Sie sich immer an die folgenden sechs Phasen halten)

1. Unterstützungs- bzw. Therapiephase: Die Finde-Phase mit anschließender Analyse

Zunächst müssen Menschen, die an einer Verhaltensauffälligkeit leiden, Kontakt mit professionellen Helfern finden. Dies kann in der sozialen Arbeit durch Streetworker entstehen, die durch eine starke Präsenz beispielsweise im Drogen-Milieu es den Süchtigen leicht machen, mit Helfern ins Gespräch zu kommen. Dies kann aber auch dadurch passieren, dass Verwandte mit Süchtigen zu einer Drogenberatungsstelle kommen und dort erstmals Kontakt aufnehmen. Hier werden verschiedene Fragen geklärt:

- Ist professionelle Hilfe wirklich notwendig?
- Welche Art von Hilfe und Unterstützung ist notwendig und würde von dem Hilfesuchenden auch akzeptiert werden?
- Welche Art der Hilfe ist notwendig? Nicht immer ist eine Therapie möglich, sondern eine kurze Gesprächsreihe schon ausreichend.

2.1 Einschätzung der Lage – Analyse

Da menschliche Verhaltensweisen auch durch die Gesamtlebenslage und räumliche Umgebung beeinflusst werden, ist es wichtig, zu analysieren, welche Unterstützung zur Lebensgeschichte und den Lebensverhältnissen des Abhängigen passen. Je sorgfältiger die Lebenslage analysiert wird, desto konkreter können objektive und subjektive Sachverhalte berücksichtigt werden. Dazu gehören familiäre Konstellationen, Beschäftigungsverhältnisse und dergleichen.
Die professionellen Helfer, dies können ausgebildete Sozialarbeiter sein oder auch Therapeuten, erforschen mit dem Hilfesuchenden gemeinsam, welche Realitäten in dem Leben des Klienten zur Sucht führen. Dazu gehören die soziale Position, Einkommen, Arbeitslosigkeit, Alter, Fach- und Sachkompetenzen, das soziale Beziehungsnetzwerk, gesundheitliche Probleme usw.

Bei einem verhaltensorientierten Ansatz ist in der Phase der Analyse die Fragestellung auf drei Ebenen unterteilt:

2.1.1 Verhaltensebene

Der Therapeut bzw. die Therapeutin dokumentiert typische Verhaltensmerkmale des Klienten. Häufigkeit und Intensität des problematischen Verhaltens werden notiert. So wird beispielsweise detailliert angegeben, wie häufig der Alkoholabhängige Alkohol zu sich nimmt und unter welchen Umständen und Rahmenbedingungen dies geschieht.

2.1.2 Kognitive Ebene

Bei der kognitiven, also gedanklichen, Ebene geht es darum, was der Abhängige und vor allem wie er zu den problematischen Verhaltensweisen gedanklich eingestellt ist. Wie erlebt er selber seine Rauschzustände und die Zeit danach? Wie bewertet er den Ist-Zustand?

2.1.3 Physiologische Ebene

Hier wird analytisch dargestellt, wie der Klient körperlich auf seine Situation im Einzelnen und im Allgemeinen reagiert. Unter anderem kann hier auch deutlich werden, dass neben der psychologisch-therapeutischen Behandlung auch eine medizinisch-ärztliche Behandlung notwendig wird. Ebenso kann dargestellt werden, dass der Klient in Situationen, die angstbesetzt sind, mit Stottern, Zittern, erhöhtem Pulsschlag, nervöser Körpersprache und dergleichen reagiert, und dies durch Drogenkonsum versucht zu kompensieren.

In der therapeutischen Analysephase geht es darum, herauszufinden, welche der möglichen Ursachen, die im ersten Teil dieser Lektion erörtert wurden, im Einzelfall zutreffen bzw. welche Kombination der einzelnen Ursachen. Dabei wird im Idealfall möglicherweise von einem Therapeutenteam nicht davon ausgegangen, dass sich das auffällige Verhalten des Klienten allein behavioral oder alleine durch psychoanalytische Erklärungsmuster begründen lässt, sondern das Therapeutenteam ist offen für möglichst viele psychologische Ansätze, um den tatsächlichen, kausalen Zusammenhängen möglichst nahe zu kommen. Daher werden beispielsweise Fragen wie die folgenden in der Analyse geklärt:

2.1.4 Beispiele für denkbare Analysefragen:
- Welche klassischen und/oder operanten Konditionierungen haben für das auffällige Verhalten gesorgt. bzw. erhalten es?
- Welche Verarbeitungsprobleme haben für Abwehrmechanismen im Sinne von Kompensation gesorgt?
- Welche schlechten Vorbilder (Modelle) haben für das auffällige Verhalten des Klienten gesorgt?
- Welche Situationen und räumlichen Gegebenheiten im Lebensumfeld sorgen für die Abhängigkeit des Klienten?

In der Vergangenheit und teilweise auch noch in der Gegenwart wurden die Fragen und Analysetechniken jeweils auf eine psychologische Schule beschränkt. Die Tiefenpsychologen bzw. Psychoanalytiker haben fast ausschließlich nach Problemen in der Kindheit gefahndet, die Verhaltenstherapeuten nach Konditionierungen.
Heutzutage rücken diese unterschiedlichen psychologischen Schulen immer mehr zusammen, so dass ein kombinierter Behandlungsansatz aus den oben beschriebenen Strategien und Erklärungsmöglichkeiten möglich und realistisch wird.

Aus der Beantwortung der oben dargestellten Analysefragen lassen sich gewünschte und erstrebenswerte Verhaltensveränderungen festlegen und formulieren. Diese können in einer Veränderung der Wohnumgebung und Arbeitsplatzgestaltung liegen, meistens - und das ist eher dann der therapeutische Ansatz – geht es um die Aufarbeitung kindlicher Traumata und auch dadurch, um den Erwerb von neuen bzw. veränderten Verhaltensweisen. Die Informationsgewinnung in der Analysephase geschieht in erster Linie durch das Gespräch mit dem Klienten, darüber hinaus können aber auch Bezugspersonen wie Eltern, Lehrer und dergleichen befragt werden. Ganz oft ist es so, dass die Klienten in einer Therapie aufgefordert werden, sehr ausführlich einen detailliert formulierten Lebenslauf zu erstellen. Diese Analyse oder auch Anamne sephase ist der Grundstock, also die Basis, für das darauf folgende sozialpädagogische oder therapeutische Handeln.

Aufgabe 12: Skizzieren Sie die wesentlichen Aspekte zur ersten und zweite Phase eines pädagogischen Handlungskonzepts.

3. Planung und Ressourcenvermittlung

Die Informationen aus der Analysephase müssen nun von dem professionellen Helfer ausgewertet und interpretiert werden. Daraus ergibt sich die Formulierung eines Planes, die sich entweder im therapeutischen Bereich auf Verhaltensänderungen und innerpsychische Prozesse bezieht oder im allgemeinen sozialpädagogischen Sinne auf die offenere Unterstützung des Betroffenen durch das Umfeld und das bewusste Aktivieren der Ressourcen aus derselben.
Zu den Ressourcen aus der Umwelt und des Klienten gehören vorhandene Fähigkeiten, Stärken, Freunde, Nachbarn, Partner/innen und nahe gelegene Behörden, Kulturzentren und dergleichen. Während im allgemeinen sozialpädagogischen Ansatz hier womöglich erst die Entscheidung getroffen wird, eine Therapiemöglichkeit zu suchen und zu beginnen, ist die Planungs- und Ressourcenvermittlungsphase innerhalb einer Therapie fokussiert auf das Erlernen neuer wünschenswerter Verhaltensweisen. Ausgehend von den Ursachen und deren typischen Charakteristik wird bei der Erstellung der therapeutischen Planung der jeweils passende Ansatz ausgewählt.

Beispiel: Ein Mensch, der aufgrund eines Autounfalls auf einer Autobahn eine Phobie vor LKWs und Brücken hat, bedarf nicht die psychoanalytische Kindheitsbearbeitung. Hier gilt, dass ein verhaltensorientierter Ansatz versucht, die Konditionierung entweder im Rahmen einer Extinktion zu löschen oder durch eine neue klassische bzw. operante Konditionierung es dem Klienten zu ermöglichen, auch weiterhin auf der Autobahn LKWs zu überholen ohne Angst vor dem damaligen Unfall zu haben.

Aufgabe 13: Skizzieren Sie die wesentlichen Aspekte zur vierten Phase eines pädagogischen Handlungskonzepts.



4. Unterstützungs- bzw. Therapiephase: Handlung und Durchführung der Unterstützung

Vor Beginn der Unterstützungsphase wird eine verpflichtende, möglicherweise sogar schriftliche Vereinbarung erstellt, die festlegt, welche Art, wie intensiv und wie lange die Unterstützungsphase dauern soll. Bei der Durchführung der Unterstützungsphase hat der professionelle Helfer eine unterstützende, teilweise auch eine steuernde und kontrollierende Funktion. Hier soll geholfen werden, besonders bei lustgesteuerten Klienten, die an einer ES-Dominanz leiden, vorher abgesprochene Ziele aus der Planungsphase nun tatsächlich zu erreichen. Der professionelle Helfer leitet den Unterstützungsprozess unter Berücksichtigung entsprechender Zwischenergebnisse und ggfs. Anpassung der Hilfsstrategien an veränderte Umweltbedingungen, um so schließlich das Ziel zu erreichen, dass in der Planungsphase Klient und professioneller Helfer gemeinsam besprochen haben.

Im Folgenden werden verschiedene Ansätze dargestellt, die je nach Problematik in der Handlungsphase relevant werden.

4.1. Die klassische Konditionierung in der Handlungsphase in der Therapie von Süchtigen

Im Folgenden werden die Möglichkeiten der klassischen Konditionierung in ihrer unterschiedlichen Erscheinungsform im Rahmen einer Therapie erörtert. Dabei wird unterschieden

a) Aufbau von emotionalen Reaktionen und Verhaltensweisen
b) Abbau von emotional bedingten Reaktionen und Verhaltensweisen

Zu a) gehört die Kopplung des Reizes, der die gewünschten Reaktionen bzw. Verhaltensweisen hervorrufen soll, mit einem Reiz, der diese Reaktion bereits hervorruft. Des Weiteren ist hier die mehrmalige Wiederholung der Kopplung von unbedingtem und neutralem Reiz die Grundlage für die später dargestellten Konditionierungstechniken. Dabei ist darauf zu achten, dass ein zeitliches und räumliches Miteinander auftreten der beiden Reize notwendig ist.

Beim Abbau von emotionalen Reaktionen werden die Gegenkonditionierung, das systematische Desensibilisieren, die Reizüberflutung und die Aversionstherapie eingesetzt. Gehen wir einmal davon aus, dass ein oben genanntes Schlüsselsignal oder ein Schlüsselreiz wie ein Bierglas zu suchtartigen Verhaltensweisen führen kann. Eine derartige Konditionierung kann wie folgt entstanden sein:
Bierglas führt zu keiner spezifischen Reaktion.
NS  keine spezifische Reaktion.

Alkohol führt zu Rauschzuständen.
UCS  UCR

Bierglas + Alkohol führt zu Rauschzuständen.
NS + UCS  UCR

Nach mehrmaliger Wiederholung der Kopplung NS + UCS, also das mehrmalige Trinken von Alkohol bzw. Bier aus dem Bierglas führt zu

Bierglas führt zu suchtartigem Verlangen nach Alkohol.
CS  CR


Ursprünglich war also das Bierglas ein neutraler Reiz (NS) und er führte zu keiner besonderen spezifischen oder bedingten Reaktion.

Der Genuss von Alkohol, besonders in hohem Maße führte zu Rauschzuständen. Das heißt, dass Alkohol als unkonditionierter Stimulus (UCS) ein Reiz ist, der ohne vorangegangenes Lernen eine Reaktion, nämlich den Rauschzustand, auslöst. Dieser Rauschzustand wird als positiv erlebt. Die Kopplung Alkohol + Bierglas ist eine Kopplung des neutralen Reizes (NS), also eines Reizes, der zu keiner bestimmten Reaktion führt, mit dem unkonditionierten Reiz, der eine angeborene Reaktion auslöst. Kopplung Alkohol + Bierglas führt ebenfalls zu dem Alkohol-Rauschzustand, zumindest bei wiederholten Kopplungen. Die Konditionierung wird nun deutlich, indem der bedingte Reiz Conditioned Stimulus (CS), also das Bierglas als ursprünglich neutraler Reiz nun durch die mehrmalige Kopplung mit dem UCS = Alkohol eine gelernte bzw. eine bedingte Reaktion hervorruft. Hier ist es der Rauschzustand. Diese bedingte Reaktion (Conditioned Response = CR) ist eine erlernte Reaktion, die durch das Bierglas (CS) ausgelöst wird.

In der Behandlung von alkoholabhängigen Menschen ist es tatsächlich so, dass die Umgebung durchforstet wird nach konditionierenden Reizen (CS), die immer wieder das Verlangen, also die emotionale Reaktion, das Sich-Sehnen nach Rauschzuständen verursachen.

1. Arbeitsaufgabe: Erstellen Sie s ein Beispiel, in dem aggressives Verhalten anhand der klassischen Konditionierung entsteht.

Die sucht auslösenden Reize werden aus der Umgebung verbannt und dadurch wird die Wahrscheinlichkeit verringert, dass aufgrund einzelner Signalreize ein „Rückfall“ in suchtartiges Verhalten geschieht.

4.1.1 Gegenkonditionierung

Des Weiteren wird die Gegenkonditionierung angewendet, um die Reiz-Reaktions-Kette, wie oben beschrieben, im Sinne von erwünschten Verhaltensweisen therapeutisch nutzen zu können.

Definition: Ziel der Gegenkonditionierung ist es, eine nicht erwünschte Reiz-Reaktions-Kette durch eine bessere therapeutisch erwünschte Reiz-Reaktions-Verbindung zu ersetzen. Dies geschieht durch eine erneute Konditionierung, ein bedingter Reiz (CS), eine andere, der unerwünschten bedingten Reaktion (CR) entgegen gesetzte Wirkung erzielt.

Nicht erwünschte emotionale Reaktionen wie beispielsweise Sucht- oder Rauschverlangen können abgebaut werden, indem mehrmals der Reiz, der diese negativen emotionalen Reaktionen zur Folge hat, mit einem Reiz koppelt, dessen, Reaktion mit diesen Emotionen unvereinbar ist: Personen, Objekte oder Situationen, die für den zu Erziehenden verhaltensstabilisierend wirken, werden mit positiven und nicht-verhaltensanregendenden Reizen verbunden. So werden diese Schlüsselreize, Musik, Biergläser, Räumlichkeiten, usw., die bislang die Sucht angeheizt haben, entweder eliminiert und dem Klienten nicht mehr dargeboten, so entsteht eine Löschung des Verhaltens (= Extinktion) oder diese Reize werden mit anderen Reizen wie Naturerlebnisse, Sport, Spaß, gute Gespräche usw. verknüpft. Somit kann eine Musik, die früher zum Suchtverlangen geführt hat, nun, da sie mit anderen Situationen gekoppelt wurde, in Zukunft nicht mehr zum Drogenverlangen führen. Im Zusammenhang mit der Suchtproblematik sei im Folgenden auf die besondere Bedeutung der Aversionstherapie hingewiesen.


4.1.2 Die operante Konditionierung

Zu den weiteren verhaltenstherapeutischen Techniken gehört der Ansatz der operanten Konditionierung.
Nicht alle Probleme können mit klassischen Konditionierungen behoben werden. Bei der operanten Konditionierung erfolgt eine Verstärkung als Konsequenz auf eine bestimmte Verhaltensweise.
Operant bedeutet an bzw. in seiner Umwelt zu operieren.
Operante Konditionierung ist Lernen durch Verstärkung. Das ist der Prozess, in dessen Verlauf Verhaltensweisen vermehrt gezeigt werden durch die der menschliche Organismus angenehme Konsequenzen herbeiführen oder aufrecht erhalten bzw. unangenehme Situationen beseitigen, verringern oder vermeiden kann.

Definition: Verstärkung meint den Prozess, der dazu führt, dass ein vorher zufällig gezeigtes Verhalten nun häufiger auftritt. Dabei muss man positive und negative Verstärkungen unterscheiden.

Definition: Die positive Verstärkung ist der Prozess, der dazu führt, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird, weil durch dieses angenehme Konsequenzen herbei geführt oder aufrecht erhalten werden können. Dies können Belohnungen sein.

Definition: Negative Verstärkung ist der Prozess, der dazu führt, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird, weil durch dieses unangenehme Konsequenzen verringert, vermieden oder beendet werden.

Auf die Suchttherapie bezogen, leitet man aus diesen Prinzipien verschiedene therapeutische Techniken ab.
Beispiel: So gibt es das System der Token Economy (Münz-Verstärkungs-System). Mit dieser Technik geht es darum, dass durch Belohnung in Form von Münzen, Punkten oder Noten erwünschtes Verhalten verstärkt wird, also dem Klienten ein Erfolgserlebnis vermittelt wird, das dafür sorgt, dass er das erwünschte Verhalten in Zukunft häufiger zeigt.
Auf diese Weise kann schrittweise die Methode der Verhaltensformung (Shaping) eingesetzt werden. So kann das alkoholfreie Verhalten der Verzicht auf den Konsum von Drogen durch Belohnung in Form von Münzen, die dann zu einem späteren Zeitpunkt gegen eine größere Belohnung eingetauscht werden, sehr wohl eingesetzt werden. In einer geschlossenen Therapie können die Belohnungen sozusagen erkaufte Privilegien innerhalb der Suchtabteilung eines Krankenhauses sein. Diese verhaltenstherapeutische Technik fördert einen schrittweisen Aufbau des gewünschten Sucht verzichtenden Verhaltens.

Primäre Bekräftigung
Von dem Patienten wird schrittweise mehr und mehr der Verzicht der Verhaltensauffälligkeiten verlangt, wenn er in den Genuss einer primären Bekräftigung kommen will.
Das bedeutet, dass er nach einiger Zeit mehr Token für dasselbe Vorrecht braucht. Das Pflegepersonal, das die Token austeilt, muss hierzu gut angeleitet werden. Es muss genau wissen, welches Verhalten bekräftigt werden soll und welches nicht. Es muss auch sehr konsequent beim Belohnen des gewünschten Verhaltens sein. Anderenfalls wird der gewünschte Effekt nicht erreicht. Da primäre Bekräftigungen, die für die Token eingetauscht werden, nicht für alle Menschen den gleichen Wert haben, müssen sie auf die jeweilige Person speziell bezogen werden.

Wichtig ist der Einsatz von Kombinationen der verschiedenen Lerntechniken, Konditionierung, Modell-Lernen, Assertiveness Training, usw.


Selbstsicherheitstraining
Assertiv bedeutet selbstbewusst, selbstsicher. Vielen Menschen mangelt es an Selbstsicherheit. Sie sind ängstlich, in sozialen Situationen angespannt und trauen sich nicht, ihre eigene Sicht der Dinge darzustellen. Hieraus entsteht durchaus der Versuch, in dem Konsum von Drogen die eigene Unsicherheit zu kompensieren. Selbstsicherheitstraining ist eine Technik, die darauf gerichtet ist, das Selbstwertgefühl, das Ich, zu stärken. Dabei werden unterschiedliche Methoden in Kombination eingesetzt. Sie alle beruhen auf verschiedene Lerntheorien. Hierzu gehört die Gegenkonditionierung, das Modell-Lernen und die Verstärkung von positiven Gedanken.
Der Klient wird vom Therapeuten in soziale Situationen hinein gebracht, die ihm bislang Angst gemacht haben oder die ein Anreiz zum Suchtverhalten gegeben haben. Dies geschieht in vorsichtigen, langsamen Schritten. Der Klient lernt, sich in diesen Situationen selbstsicher zu verhalten.
Schrittweise wird die Intensität der belastenden Situationen verstärkt. Meistens wird diese Technik zunächst in einem Rollenspiel vorher in den geschützten Praxisräumen geübt. Hat der Klient keinerlei Handlungsrepertoire mit den Herausforderungen umzugehen, so wird der Therapeut im Sinne des Modell-Lernens adäquates Verhalten vorspielen. Danach wird dieses vorgespielte Verhalten diskutiert, besprochen und eventuell auf die besonderen Bedürfnisse und Empfindungen des Klienten angepasst. Danach reproduziert der Klient das beobachtete Verhalten beim Therapeuten, indem er es im geschützten Rollenspiel nachspielt.

Wenn der Klient auf diese Art seine Angst zu beherrschen gelernt hat, wird er aufgefordert, das Gelernte in realen Situationen anzuwenden. Der nächste Schritt ist, dass Therapeut und Klient in die reale Welt gehen, um dort in gewissen Situationen das Gelernte durch den Klienten leben zu lassen.

Es wird vorher zusammen mit dem Therapeuten überlegt, welcher Moment dafür am besten geeignet ist, welche Formulierungen benutzt werden sollen usw. Lob und Anerkennung für das Verhalten des Klienten im Rollenspiel aber auch später „draußen“ können hierbei im Sinne der operanten Konditionierung als Verstärker wirken. Das Rollenspiel ist geeignet für Menschen, die im sozialen Kontakt gehemmt oder ungeübt sind. Für sie ist es meistens zu schwierig und zu Angst erregend, selbstsicheres Verhalten alleine in die Praxis umzusetzen. Schon im Rollenspiel kann dieses manchmal schwierig genug sein. Aber das Wissen, dass die Situation nicht echt ist und dass das gezeigte Verhalten keine Konsequenzen in der Wirklichkeit hat, kann soviel Sicherheit geben, dass man sich traut, eigene Unsicherheiten zu überwinden.
Wichtig hierzu ist, dass eine gute Therapeuten-Klientenbeziehung in den vorherigen Phasen der Therapie entstanden ist. Wenn jemand gelernt hat, sich in einer Rollenspielsituation sicher zu verhalten, wirkt das als Verstärkung. Derartige oftmals anstrengende Therapiearbeit wird vom Verhaltenstherapeuten oftmals kombiniert mit Entspannungsübungen während der Therapiesitzungen. Hier wird durch verschiedene Arten von meditativem Training wie z. B. das Yoga ein ganzheitlicher Ansatz versucht.


4.2 Psychoanalytische Therapietechniken in der Handlungsphase

Sollte die Analysephase ergeben haben, dass sich ganz bestimmte Verhaltensweisen aufgrund der Jugenderlebnisse erklären lassen, so werden durchaus psychoanalytische Techniken eingesetzt. Teilweise werden diese analytischen Techniken bereits in der Phase der Analyse eingesetzt, um spezielle Ursachen für Verhaltensauffälligkeit deutlich zu machen.

Der analytische Therapeut überprüft sehr genau, in wie fern Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Projektion, Rationalisierung und dergleichen Ursache für Suchtverhalten sein können. Die Psychoanalyse fragt sehr stark, was steht hinter dem vordergründigen, oftmals maskenhaften Verhalten der Klienten. Hierzu werden die Techniken des „freien Assoziierens“, "Deutens" und der "Traumdeutung" angewendet. Bei der freien Assoziation muss der Analysand (= Klient in der Psychoanalyse) Gedanken in Worte fassen, über die er normalerweise nie sprechen würde. Manche Inhalte werden oft für zu unwichtig, zu unbedeutend gehalten, um darüber zu reden. Außerdem gibt es auch immer Widerstände, bestimmte Gedanken oder Gefühle überhaupt zu äußern. Bei dem freien Assoziieren soll alles ausgesprochen werden. Die freie und unmittelbare Äußerung aller einfallenden Gedanken ist die Grundlage jeder psychoanalytischen Behandlung und auch als Grundregel für den Analysanden angesehen. Der Psychoanalytiker reagiert so neutral wie möglich, wertet nicht und verurteilt keine Phantasie des Analysanden. Es ist wichtig, dass der Klient erlebt, dass er alles sagen kann und darf ohne beurteilt zu werden.


4.2.1 Deuten
Eine weitere Technik in der Psychoanalyse ist das "Deuten". Es geht um das Bewusstmachen und Verstehen der Verhaltensweisen. Es werden die Gedanken des freien Assoziierens und auch Verhaltensweisen in der therapeutischen Sitzung interpretiert und versucht, zu erklären.

Beispiel:
Klient: „In der Schule wollte ich immer der Beste sein!“
Therapeut: „Vielleicht wollten Sie dadurch die Anerkennung Ihrer Eltern erhalten.“

Die Grundstrategie der Psychoanalyse besteht also darin, durch verschiedene Techniken Verhaltensweisen erklärbar zu machen und Realitäten aus dem Unbewussten oder Unterbewussten des Menschen ins Bewusste hervor zu holen. Heilung wird erwartet durch das Bewusstmachen eigener psychischer Prozesse. So wird davon ausgegangen, dass ab dem Moment, indem Sachverhalte bewusst sind, die Fähigkeit vorhanden ist, gegenzusteuern und sein Verhalten reflektiert zu ändern.




4.3 Der klientenorientierte Ansatz nach Carl Rogers in der therapeutischen Handlungsphase

Im Unterschied zum psychoanalytischen Ansatz, bei dem vom Therapeuten aus gelenkt und gedeutet wird, wird beim klientenorientierten Ansatz die Selbstexploration durch den Klienten durchgeführt.
Die Selbstexploration ist die fortschreitende Selbstwahrnehmung eigener Möglichkeiten und Verhaltensweisen. Durch einen non-direktiven Gesprächsansatz versucht der Gesprächstherapeut, den Klienten dahin gehen zu lassen, dass er selbständig Probleme und Lösungsmöglichkeiten im Gespräch erkennt.
Die wesentlichen Interventionstechniken des Therapeuten sind die oben schon dargestellten Therapeutenvariablen Empathie (Einfühlungsvermögen), Kongruenz (Echtheit) und die Akzeptanz (Wertschätzung). Es handelt sich hierbei um echte, emotionale und kognitive Äußerungen des Therapeuten bezüglich der Fähigkeiten des Klienten und dessen innerer psychischer Welt.
Bei der Empathie versucht der Berater, sich in die Erlebniswelt des Klienten einzufühlen und diese nachzuvollziehen. Dies gilt besonders für Gefühle und deren Bewertung durch den Klienten. So versucht der Berater bzw. Therapeut, den Schmerz des Klienten so zu fühlen, wie dieser ihn fühlt und die Ursachen für diesen Schmerz so wahrzunehmen wie dieser sie wahrnimmt. Bei der Wertschätzung, der Akzeptanz, geht es darum, dass der Berater bzw. Therapeut dem Klienten emotionale Wärme und Zuneigung entgegen bringt.
Dadurch öffnet sich der Klient vertrauensvoll und ist offen, selber Verhaltensveränderungen zu diskutieren. Wichtig ist, dass das gesamte Verhalten des Therapeuten kongruent ist. Das heißt also, dass eine Echtheit, eine Deckungsgleichheit zwischen den Gedanken und den Handlungen des THERAPEUTEN vorhanden ist..


Aufgabe 14: Skizzieren Sie die wesentlichen Aspekte zur vierten Phase eines pädagogischen Handlungskonzepts.

Aufgabe 15: Erstellen Sie mehrere Schaubilder mit Kästen, Pfeilen usw. um alle Fachbegriffe der vierten Phase eines Handlungskonzepts zu visualisieren. Halten Sie sich dabei an die Mind Mapping-Regeln von Tony Buzan


5. Unterstützungs- bzw. Therapiephase: Bewertung

Nachdem die unterschiedlichen therapeutischen Techniken in Abhängigkeit der jeweiligen Erkenntnisse aus der Analysephase durchgeführt wurden, wird nach einem gewissen Zeitpunkt der Veränderungsprozess des Klienten und das Ergebnis sozialpädagogischer bzw. therapeutischer Bemühungen sorgfältig kontrolliert und mit den Zielen abgeglichen.
Beide, Therapeut und Klient, vergleichen und bewerten den Ist-Zustand der inneren psychischen Realität mit dem Soll-Zustand, also der anzustrebenden Lebenslage bzw. den Therapiezielen, wie sie in der Planungsphase miteinander verabredet wurden. In der therapeutischen Praxis werden hierzu Fragebögen, Interviews und auch die Selbsteinschätzung des Klienten verwendet. Gegebenenfalls kann diese Bewertung bewirken, dass die Strategien in der Handlungsphase verändert werden und neue, veränderte Techniken eingesetzt werden. So ist es wichtig, dass in einem längeren Therapieverlauf Bewertungsphase und Handlungsphase sich abwechselnd einander bedingen.
Wird im Rahmen der Bewertungsphase eine größtmögliche Kongruenz, also eine Deckungsgleichheit, zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand festgestellt, so wird die Therapie in die Abschluss- bzw. Beendigungsphase übergeleitet.

6. Unterstützungs- bzw. Therapiephase: Beendigung

Die Beendigung der Therapeut-Klientenbeziehung ist sukzessive, also Schritt für Schritt einzuleiten. Das Hauptziel der Therapie „Hilfe zur Selbsthilfe“ impliziert, dass die Therapie irgendwann enden muss und der Klient selbst verantwortlich sein weiteres Leben suchtfrei
gestalten kann. Denkbar ist, dass eine Art Nachsorge, z. B. über eine Selbsthilfegruppe, in der der Therapeut unterstützend tätig ist, geschieht.



7. Organisationsform der Interventionen bzw. Training gegen Vehaltensauffälligkeiten

Es gibt verschiedene Hilfen für Menschen mit Vehaltensauffälligkeiten, in denen die oben dargestellten Therapieformen und Therapieelemente eingebaut sind. Bei der Erstellung eines jeden Handlungskonzeptes sollte sich an die oben dargestellten sechs Phasen gehalten werden. Darüber hinaus sind aber weitere Aspekte wichtig. Es gibt verschiedene Hilfen für Menschen mit Vehaltensauffälligkeiten. Eine große Rolle dabei spielen die Selbsthilfegruppen, an die sich Angehörige wenden können. Oft ist es ein Arzt oder eine Beratungsstelle, die Hilfen anbieten.

Falls sich bereits körperliche Symptome und beispielsweise Entzugserscheinungen zeigen, muss beispielsweise dein Abhängiger ins Krankenhaus zur Entgiftung. Hier werden oftmals Medikamente verabreicht, die ihm die Entzugserscheinungen lindern.
Die anschließende Entwöhnungsphase und die bereits beschriebene psychotherapeutische Behandlung, hat das Ziel, dem Abhängigen ein befriedigendes Leben ohne Suchtmittel zu ermöglichen. Dabei müssen die Menschen mit Vehaltensauffälligkeitenn ausreichend motiviert werden um eine Entwöhnung durchzuführen. Sie müssen es jedoch selber wollen. Es wird dabei entschieden, ob eine ambulante Drogentherapie oder eine stationäre Langzeittherapie im Einzelfall angeraten ist. Oftmals sind sehr spezielle persönliche Lebensumstände die entscheidenden Faktoren, ob eine Therapie stationär, also viele Kilometer vom Wohnort entfernt, oder ambulant parallel im normalen Alltagsleben eingebaut wird. Oft ist es so, dass nach einer stationären Therapie, wie sie beschrieben wurde, eine ambulante Psychotherapie angeknüpft wird.

Im Rahmen der Langzeittherapie werden therapeutische Sitzungen, die die oben beschriebenen therapeutischen Techniken beinhalten, ergänzt durch das Zusammenleben und praktische Handeln im Rahmen von Arbeitstherapien, Kunsttherapien und dergleichen.

Aufgabe 16: Skizzieren Sie die wesentlichen Aspekte zur fünften und sechsten Phase eines pädagogischen Handlungskonzepts.

Aufgabe 17: Nennen und erklären Sie therapeutische Interventionstechniken.
Aufgabe 18: Erklären Sie, welche Interventionstechniken präventiver Art es bezüglich des Suchtverhaltens im Rahmen von Erziehung gibt.

Aufgabe 19: Erklären Sie, wovon es abhängt, welche therapeutische Intervention bzw. welcher therapeutische Ansatz in einer Therapie gewählt werden sollte.

Aufgabe 20: Stellen Sie an einem Beispiel den Zusammenhang zwischen Therapeut-Klient-Beziehung und dem Therapieerfolg dar.

Aufgabe 21: Erörtern Sie den Zusammenhang zwischen den von Erikson formulierten Entwicklungsphasen der Identität und der Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten. Gehen Sie dabei ergänzend auch auf die Maxime von Klaus Hurrelmann ein.

Aufgabe 22: Erläutern Sie den Begriff Sozialisation ausführlich und beschreiben Sie den Zusammenhang zwischen Sozialisation und dem Entstehen von Verhaltensauffälligkeiten
Aufgabe 23: Erörtern Sie, welche Aufgaben die Gesellschaft mit all ihren Institutionen hat, um Jugendliche vor Verhaltensauffälligkeiten zu schützen.

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Fußnoten:

Wenninger, Gerd, u.a.: „Lexikon der Psychologie, CD-Rom“, Heidelberg, Berlin, Spektrum, 2000 Akademischer Verlag
(c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2006
et al. = und Mitarbeiter
apodiktisch = unwiderleglich; keinen Widerspruch duldend
http://www.uni-bielefeld.de/paedagogik/Seminare/moeller02/06konditionieren/index.html
http://www.uni-bielefeld.de/paedagogik/Seminare/moeller02/06konditionieren/
(c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2006
http://www.edit.uni-essen.de/lp/kognitiv/bandura.htm
(c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2006
Die gesamte Ausarbeitung: „Training mit aggressiven Kindern“ stammt von den Verhaltenstherapeuten Frau und Herr Petermann. Aus dem Internet kopiert http://www.uni-koeln.de/phil-fak/paedsem/psych/medien/aggression/referate/trainingag.htm
Anamnese[die; griechisch, „Wiedererinnerung“]
Res|sour|ce [-sursə f. , meist Pl.] Rohstoff-, Hilfsquelle, Geldmittel
fo|kus|sie|ren tr. 3 1. in einem Brennpunkt vereinigen (Lichtstrahlen); 2. ausrichten (Linsen); 3. mit scharfer Aufmerksamkeit betrachten