Thema: Aufsichtspflicht
Fach: Recht und Verwaltung
Entwicklungsaufgabe 3:
Erarbeitung eines Konzepts oder Modells sozialpädagogischen Handelns
Arbeitsaufgabe: Die Klasse wird in zwei gleichgroße Gruppen aufgeteilt. Gruppe I liest Text I, Gruppe II liest Text II. Anschließend informieren die Gruppen die jeweils andere Gruppe über den Inhalt ihres Textes.
Text I: Einführung
Kaum ein Begriff innerhalb der Jugendarbeit ist (zu Unrecht) derart gefürchtet und daher zwangsläufig auch missverstanden wie die "Aufsichtspflicht". Fast jeder, der beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass Aufsichtspflicht irgendwie und irgendwo existiert. Also...
Was ist Aufsichtspflicht ?
• Aufsichtspflichtige Personen haben die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass die ihnen zur Aufsicht anvertrauten Minderjährigen selbst nicht zu Schaden kommen und auch keinen anderen Personen Schaden zufügen.
• Aufsichtspflichtige Personen müssen ständig wissen, wo sich die Ihnen zur Aufsicht anvertrauten Minderjährigen befinden und was diese gerade tun.
• Aufsichtspflichtige Personen müssen vorhersehbare Gefahren vorausschauend erkennen und zumutbare Anstrengungen unternehmen, um die ihnen anvertrauten Minderjährigen vor Schäden zu bewahren. Hintergrund dieser Verpflichtung ist die Annahme, dass minderjährige Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Alters sowie ihrer fehlenden körperlichen und geistigen Reife einerseits ihnen selbst drohende Gefahren entweder überhaupt nicht erkennen oder aber nicht richtig einschätzen können und daher besonderen Schutz bedürfen. Andererseits bestehen aus denselben Gründen auch erhöhte Gefahren für andere Personen, die durch unbewusstes und/oder unüberlegtes Verhalten von Minderjährigen in Gefahr gebracht werden oder Schäden erleiden können.
Wo ist die Aufsichtspflicht geregelt ?
Unmittelbar gesetzlich geregelt sind nur die Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufsichtspflicht (wer haftet nach einer Aufsichtspflichtverletzung ?), nicht aber Inhalt und Umfang einer ordnungsgemäßen Aufsichtsführung (Wann ist die Aufsichtspflicht verletzt ?; Wie wird die Aufsichtspflicht erfüllt ?).
Allerdings ist mit dieser oft empfundenen Unsicherheit einer fehlenden umfassenden Regelung gerade der große Vorteil verbunden, dass keine absolut verbindlichen Regelungen existieren, die Jugendleiter bei Ihrer Aufsichtsführung behindern und einschränken können.
Während früher die Rechtsprechung dazu neigte, Schäden dadurch zu verhindern, dass jegliche Gefahren von vorneherein vom Minderjährigen ferngehalten werden mussten, ist seit Mitte der sechziger Jahre, begleitet von einem stetig wachsenden Selbstverständnis der Jugend und einer zunehmenden Liberalisierung der elterlichen und schulischen Erziehung auch ein Wandel der gerichtlichen Beurteilungsmaßstäbe erkennbar; so sollen Kinder planvoll und mit wachsendem Alter zunehmend an den Umgang mit den Gefahren des Alltags herangeführt werden. Den Jugendleitern obliegt es, den Kindern zum Umgang mit Gefahrensituationen brauchbare Handlungs- bzw. Reaktionsmuster aufzuzeigen und eigene Erfahrungen zu verschaffen. Damit einhergehen muss aber zwangsläufig eine zeitweilige Absenkung der Aufsichtserfordernisse, so dass von allen Beteiligten daher auch die Möglichkeit in Kauf genommen werden muss, dass in Einzelfällen negative Erfahrungen entstehen. Diese tragen jedoch mit dazu bei, dass den Kindern und Jugendlichen ein vollständiges, reelles Bild ihrer Umgebung und ein umfassender Erfahrungsschatz im Umgang mit dieser vermittelt wird.
Die Jugendleiter können daher meist aus einer Mehrzahl an Reaktionsmöglichkeiten diejenige auswählen, die ihrer subjektiven Ansicht nach am besten der jeweiligen Situation angemessen ist. Sobald das konkrete Verhalten des Erziehers/ der Erzieherin noch von einem pädagogisch vertretbaren, nachvollziehbaren Erziehungsgedanken getragen und nicht völlig abwegig ist, sind auch riskantere Entscheidungen und eine liberalere Aufsichtsführung akzeptabel.
Pädagogische Freiräume und Entscheidungsspielräume müssen aber dann zurücktreten, wenn wegen der konkreten Eigenarten des Aufsichtsbedürftigen oder der Gefährlichkeit der Situation erhebliche Schäden drohen.
Wie erfülle ich die Aufsichtspflicht ?
Für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufsichtspflicht lassen sich vier Pflichten unterscheiden, die nicht isoliert zu sehen sind, sondern ihren Sinn nur im Gefüge des gesamten Systems erfüllen.
1. Pflicht zur Information
Die Jugendorganisation bzw. der Veranstalter einer Aktivität und der Erzieher/ die Erzieherin haben sich vor Beginn der Freizeit oder beim regelmäßigen Gruppenstunden laufend über die persönlichen Verhältnisse der Aufsichtsbedürftigen zu informieren. D.h. ihm sollten alle Umstände, die in der Person des Aufsichtsbedürftigen wurzeln und für die konkrete Gestaltung einer Gruppenstunde/ Ferienfreizeit/ Aktivität generell wichtig sind oder im Einzelfall wichtig sein können bekannt sein, z.B.: Behinderungen, Krankheiten, Medikamenteneinnahme Allergien, Schwimmer/ Nichtschwimmer, Sportliche Fähigkeiten etc... Außerdem muss er die Besonderheiten der örtlichen Umgebung kennen, d.h. alle Umstände, die in der örtlichen Umgebung des Aufenthaltes der Gruppe wurzeln, sei es, dass diese Umstände vom Jugendleiter bzw. der Gruppe beeinflusst werden können oder nicht, z.B.: Sicherheit von Gebäude und Gelände, Notausgänge, Sicherheit möglicher Spielgeräte, Notrufmöglichkeiten, Position des Feuerlöschers, Erste-Hilfe-Material etc. zu informieren.
Der Erzieher/ die Erzieherin hat sich durch Beobachtungen, ggf. Befragungen, einen raschen persönlichen Eindruck der Anvertrauten sowie darüber zu verschaffen welchen Gefahren die Aufsichtspflichtigen während der Veranstaltung ausgesetzt sind. Nur so ist es möglich, Risikopotentiale vorausschauend zu erkennen und Gefahren bzw. Schäden präventiv zu begegnen.
2. Pflicht zur Vermeidung von Gefahrenquellen
Der Erzieher/ die Erzieherin ist verpflichtet, selbst keine Gefahrenquellen zu schaffen sowie erkannte Gefahrenquellen zu unterbinden, wo ihm dies selbst auf einfache Art und Weise möglich ist. Von der Anzahl der vorhandenen und drohenden Gefahrenquellen hängt ganz entscheidend das Maß der tatsächlichen Beaufsichtigung ab. Wenn es dem Jugendleiter also gelingt, einzelne Risiken ganz auszuschalten, muss er sich um diese schon nicht mehr kümmern.
3. Pflicht zur Warnung vor Gefahren
Von Gefahrenquellen auf deren Eintritt oder Bestand der Erzieher/ die Erzieherin keinen Einfluss hat, sind die Aufsichtsbedürftigen entweder fernzuhalten (Verbote), zu warnen oder es sind ihnen Hinweise zum Umgang mit diesen Gefahrenquellen zu geben.
Die Warnungen und Erklärungen sind in ihrer Ausdrucksweise und Intensität altersgerecht so zu gestalten, dass sie von den Aufsichtspflichtigen auch tatsächlich verstanden werden. Bei jüngeren Kindern hat sich der Erzieher/ die Erzieherin durch Nachfragen zu versichern, ob seine Hinweise verstanden wurden, ggf. sind diese zu wiederholen. Der Umgang mit ungewohnten Gegenständen, z.B. Werkzeug, ist vorzuführen. Der Erzieher/ die Erzieherin hat insgesamt den Eindruck zu vermeiden, dass Verbote zum Selbstzweck werden. Er soll die sachlichen Gründe, die ihn zu einem Verbot bewogen haben, transparent machen, so dass Hinweise und Verbote nicht als "Befehle" empfunden werden. Nur so ist auch eine Beachtung und Befolgung gewährleistet.
4. Pflicht, die Aufsicht aufzuführen
Hinweise, Belehrungen und Verbote werden aber in den meisten Fällen nicht ausreichen. Der Erzieher/ die Erzieherin hat sich daher stets zu vergewissern, ob diese von den Aufsichtsbedürftigen auch verstanden und befolgt werden. Dies ist die Verpflichtung zur tatsächlichen Aufsichtsführung. Eine ständige Anwesenheit kann dabei nicht in jedem Fall, wohl aber bei Kindern bis zu 5-6 Jahren gefordert werden. Der Erzieher/ die Erzieherin muss aber ständig wissen, wo die Gruppe ist und was die Teilnehmer gerade tun. Hierüber muss er sich in regelmäßigen Abständen versichern.
Im Allgemeinen kommt ein Jugendleiter dann seiner Aufsichtspflicht nach, wenn er die "nach den Umständen des Einzelfalles gebotene Sorgfalt eines durchschnittlichen Jugendleiters" walten lässt.
Das Maß der tatsächlichen Aufsichtsführung hängt daher von vielen Faktoren ab, z.B.: Alter und persönliche Verhältnisse der Kinder/Jugendlichen, Gruppengröße, Örtliche Verhältnisse, Anzahl Beherrschbarkeit und Einschätzbarkeit der vorhandenen Gefahrenquellen, objektive Gefährlichkeit der Aktivität, Anzahl der Mitbetreuer.
Der Erzieher/ die Erzieherin sollte stets folgende Fragen mit JA beantworten können:
Bin ich darüber informiert, wo sich die mir anvertrauten Kinder und Jugendlichen befinden und was sie tun ?
Habe ich generell alle Vorkehrungen zum Schutze der mir Anvertrauten und Dritter getroffen ?
Habe ich auch in der jetzigen Situation alles Zumutbare getan, was vernünftigerweise unternommen werden muss, um Schäden zu verhindern ?
Wer haftet für was ?
Eine Aufsichtspflichtverletzung und damit auch eine Haftung des Erziehers/ der Erzieherin nach den Vorschriften der §§ 823, 832 BGB setzt immer ein Verschulden des Erziehers/ der Erzieherin bei Wahrnehmung der Aufsichtspflicht voraus. Als Maßstab kommt dabei (selten) Vorsatz und (meistens) Fahrlässigkeit in Betracht. Während bei der Annahme von Vorsatz der Erzieher/ die Erzieherin will bzw. es in Kauf nimmt, dass ein Schaden entsteht, ist von Fahrlässigkeit dann auszugehen, wenn der Erzieher/ die Erzieherin zwar keinen Schaden will, allerdings ein Schaden deshalb entsteht, weil der Erzieher/ die Erzieherin die erforderliche Sorgfalt eines durchschnittlichen (d.h. verantwortungsbewussten und ausgebildeten, nicht aber allwissenden) Jugendleiters außer Acht gelassen hat.
Bei der Frage, wer letzten Endes für den Schaden aufzukommen hat, wird dann noch weiter unterschieden zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit. Oft wird aber wohl auch dem geschädigten Minderjährigen selbst der Vorwurf zu machen sein, dass die Entstehung des Schadens für ihn vorhersehbar war. Hier greift die "Mitschuld"-Regelung des § 828 BGB ein. Danach ist zunächst Kindern bis zum vollendeten siebten Lebensjahr kein eigenes Mitverschulden anzulasten.
Wenn aber der Geschädigte mindestens 7 Jahre alt ist und er in der Situation, die zum Schaden führte, hätte erkennen können, dass durch sein Verhalten dieser Schaden entstehen wird, kann dies zu einer Minderung oder zum Ausschluss der Haftung des Erziehers/ der Erzieherin führen. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass mit zunehmendem Alter des Minderjährigen auch sein persönlicher Reifegrad und sein Erfahrungsschatz eine immer präzisere Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten und Grenzen sowie der Gefährlichkeit des Tuns ermöglicht.
Die Beantwortung der Frage, wer letztendlich für einen entstandenen Schaden haftet, beurteilt sich nach dem Maß der Aufsichtspflichtverletzung:
Während bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit der Erzieher/ die Erzieherin selbst für einen Schaden haftet, kann er im Falle seiner leichten Fahrlässigkeit verlangen, dass er vom Träger der Veranstaltung/ Freizeit von der Haftung "freigestellt" wird, d.h. dieser anstatt des Erziehers/ der Erzieherin den Schaden übernehmen muss. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Jugendleiter, da sie mit besonders gefahrträchtigen Aufgaben betraut werden (Beaufsichtigung von Minderjährigen), letztlich nicht mit Schadenersatzansprüchen belastet werden können, die ihre Ursache gerade in der besonderen Gefahr der übertragenen Aufgabe haben.
Welche straf- und arbeitsrechtlichen Folgen gibt es bei Aufsichtspflichtverletzungen ?
Die bloße Verletzung der Aufsichtspflicht, ohne dass es zu einem Schaden kommt, zieht in der Regel keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich. Sofern es zu einer nicht unerheblichen körperlichen Verletzung des Betreuten oder eines Dritten kommt, steht der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung im Raum. Im Todesfall wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Die Verletzung einer arbeitsvertraglich übernommenen Aufsichtspflicht kann, je nach der Schwere der Pflichtverletzung, disziplinäre Maßnahmen des Arbeitgebers nach sich ziehen. Diese reichen von der bloßen Ermahnung bis hin zu einer fristlosen Kündigung, der aber in der Regel eine Abmahnung wegen desselben Verhaltens vorauszugehen hat.
Ausgewählte Gesetzestexte des Strafgesetzbuches StGB
§ 26 StGB Anstiftung
Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidrigen Tat anstiftet.
§ 27 StGB Beihilfe
I. Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidrigen Tat Hilfe geleistet hat.
II. .....
§ 138 StGB Nichtanzeige geplanter Straftaten
(1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung
1. einer Vorbereitung eines Angriffskrieges,
2. eines Hochverrats,
3. eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit,
4. einer Geld- oder Wertpapierfälschung oder einer Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks,
5. eines schweren Menschenhandels,
6. eines Mordes, Totschlags oder Völkermordes,
7. einer Straftat gegen die persönlich Freiheit,
8. eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung,
9. einer gemeingefährlichen Straftat zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a zu keiner Zeit, zu der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten.
(3) Wer die Anzeige leichtfertig unterlässt, obwohl er von dem Vorhaben oder der Ausführung der rechtswidrigen Tag glaubhaft erfahren hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 257 StGB Begünstigung
(1) Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm den Vorteil der Tat zu sichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe.
(3) Wegen Begünstigung wird nicht bestraft, wer wegen Beteiligung an der Vortat strafbar ist. Dies gilt nicht für denjenigen, der einen an der Vortat Unbeteiligten zur Begünstigung anstiftet.
(4) Die Begünstigung wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn der Begünstiger als Täter oder Teilnehmer der Vortat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.
§ 248 StGB a gilt sinngemäß.
§ 258 StGB Strafvereitelung
(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt.
(3) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe. (4) Der Versuch ist strafbar.
(5) Wegen Strafvereitelung wird nicht bestraft, wer durch die Tat zugleich ganz oder zum Teil vereiteln will, dass er selbst bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird, oder dass eine gegen ihn verhängte Strafe oder Maßnahme vollstreckt wird. (6) Wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht, ist straffrei. § 52 StPO Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt 1. der Verlobte des Beschuldigten; 2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist
Ausgewählte §§ des Bürgerlichen Gesetzbuches BGB
Die Texte in Klammern sind nicht Teil des amtlichen Textes sondern dienen der Erläuterung.
§ 823 BGB
Wer vorsätzlich (absichtlich) oder fahrlässig (versehentlich) das Leben, den Körper (äußerliche Wunde, Knochenbruch), die Gesundheit (Organe, Wohlbefinden, Krankheit), die Freiheit (v.a. Fortbewegung), das Eigentum (alle vermögenswerten Rechte) oder ein sonstiges Recht eines anderen verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
§ 828 BGB
Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich (Deliktsunfähigkeit). Wer das siebente, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden dann verantwortlich, wenn er bei Begehung der Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit (Gefährlichkeit des Tuns) erforderliche Einsicht hat (Bedingte Deliktsfähigkeit).
§ 832 BGB
Wer Kraft Gesetzes (z.B. Eltern, Pfleger, Lehrer, Erzieher) oder Vertrag (z.B. Kindergärtnerin, Jugendleiter) zur Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich (nicht bei Notwehr, Notstand oder Einwilligung) zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre.
Text Nr.:2
In jedem Fall verantwortlich?
Zur Aufsichtspflicht in der Kita und im Kindergarten
Kaum ein Bereich ihrer Arbeit macht Erzieherinnen so viel Angst wie derjenige der Aufsichtsführung - obwohl es in ganz Deutschland wohl keine Fachkraft geben dürfte, die wegen einer Aufsichtspflichtverletzung eine längere Haftstrafe verbüßt. Dieser Angst liegt eine durchaus verständliche Unsicherheit zugrunde. Sie rührt daher, dass das Gesetz zwar die zivil-, straf- und arbeitsrechtlichen Folgen der Aufsichtspflichtverletzung herausstellt, Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht aber noch nicht einmal annähernd umreißt. Der Grund hierfür liegt darin, dass die letztlich unendliche Zahl möglicher Vorkommnisse und Konstellationen im Einzelfall es unmöglich machen, Kriterien einer ausreichenden Aufsicht gesetzlich festzulegen. Grobe Maßstäbe können aber aus den vielen Gerichtsentscheidungen erschlossen werden, die sich natürlich immer auf konkrete Einzelfälle bezogen haben. Die folgenden Aussagen können somit nur als solch grobe Richtlinien verstanden werden; maßgeblich sind immer die besonderen Umstände der jeweiligen Situation, in der sich eine Aufsichtspflichtige befindet.
Gesetzliche und vertragliche Aufsichtspflicht
Die Aufsichtspflicht ist nach § 1631 Abs. 1 BGB (= Bürgerliches Gesetzbuch) Teil der Personensorge. Laut Gesetz liegt sie somit bei den Personensorgeberechtigten, also in der Regel bei den Eltern. Melden diese ihr Kind im Kindergarten an, so übernimmt der Träger durch den Aufnahmevertrag ausdrücklich oder stillschweigend auch die Aufsichtspflicht über das Kind. Da er die Aufsichtspflicht nicht selbst ausüben kann, überträgt er sie ausdrücklich oder stillschweigend auf die Kindergartenleiterin und das übrige Personal. Zu seinen Pflichten gehört es, seine Mitarbeiterinnen sorgfältig auszuwählen, ihre Eignung zu prüfen, ihre Einarbeitung sicherzustellen, wichtige Informationen an sie weiterzugeben und sie nicht zu überfordern.
§ 1631 Abs. 1 BGB
Die Personensorge umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
Die vertragliche Aufsichtspflicht liegt somit beim Kindergartenträger. Die sozialpädagogische Fachkraft ist aufgrund ihres Arbeitsvertrages "Erfüllungsgehilfin" des Trägers und ist deshalb verpflichtet, die Aufsicht über die ihr anvertrauten Kinder zu übernehmen. Der Kindergartenleiterin kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu, da sie als Vorgesetzte z.B. verpflichtet ist, neu eingestellte Mitarbeiterinnen in die Aufsichtsführung einzuweisen sowie generell ihr Personal auf Gefahren aufmerksam zu machen, beratend und unterstützend hinsichtlich der Aufsichtsführung zu wirken und bei Pflichtverletzungen einzugreifen.
Was umfasst nun die den sozialpädagogischen Fachkräften übertragene Aufsichtspflicht? Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass sie weitgehend derjenigen der Eltern entspricht, da sie ja von diesen dem Kindergarten übertragen wurde. Ansonsten wird immer wieder auf folgende Formel des Bundesgerichtshofes zurückgegriffen: "Entscheidend ist, was verständige Eltern (oder Erzieher, oder Betreuer) nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind (oder des Kindes selbst, Anm. des Autoren) zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist" (zitiert nach Münder 1991, S. 92). In dieser Formel wird also betont, dass Art und Ausmaß der Aufsichtspflicht immer von den jeweils gegebenen Umständen abhängen, dass die Anforderungen an die sozialpädagogischen Fachkräfte nicht übertrieben sein dürfen und dass diese ihren Verstand zur Ermittlung der in der konkreten Situation notwendigen Aufsicht einsetzen müssen. Dabei sind sowohl die pädagogischen Ziele des Kindergartens als auch das Wohl der Kinder und Dritter zu berücksichtigen. Hundmeyer (1995 a) leitet daraus folgenden Grundsatz ab: "Was pädagogisch nachvollziehbar begründet ist (d.h. von den Erziehungszielen her gerechtfertigt ist und zugleich die Sicherheitsinteressen des Kindes und anderer mit berücksichtigt), kann keine Aufsichtspflichtverletzung sein" (S. 10).
Kriterien für die Aufsichtspflicht
Welche "besonderen Gegebenheiten" müssen Erzieherinnen nun in der jeweiligen Situation berücksichtigen? Was sind denn "vernünftige Anforderungen"? In der Regel ist Folgendes zu beachten:
(1) Alter der zu betreuenden Kinder: Offensichtlich ist, dass jüngere Kinder mehr Aufsicht benötigen als ältere, da sie viele Gefahren noch nicht kennen, oft unberechenbar handeln und die Folgen ihres Verhaltens häufig nicht abschätzen können.
(2) Person des jeweiligen Kindes: Wichtiger als das Alter sind der körperliche, kognitive, emotionale und soziale Entwicklungsstand des Kindes und die mit ihm gemachten Erfahrungen. Das bedeutet beispielsweise,
• dass sich die Erzieherin bei der Aufnahme eines Kindes über eventuelle Behinderungen, Gesundheitsschäden, Allergien und andere Risiken informieren bzw. von den Eltern darüber unterrichtet werden muss,
• dass sie ihr unbekannte oder noch wenig bekannte Kinder (Neuaufnahmen) mehr im Auge behalten muss als Kinder, deren Verhalten sie aufgrund ihrer Vorerfahrungen mit ihnen gut abschätzen kann,
• dass sie einen unreifen, entwicklungsverzögerten Fünfjährigen mehr beaufsichtigen muss als ein gleichaltriges, aber sehr selbständiges oder sehr gehorsames Kind.
Erhöhte Anforderungen an die Aufsichtspflicht sind auch zu stellen, wenn ein Kind z.B. zu aggressivem Verhalten neigt oder die eigenen Fähigkeiten sehr überschätzt.
(3) Art der Tätigkeit bzw. Beschäftigung: Offensichtlich ist, dass Kleinkinder bei gefährlichen Spielen (z.B. Mikado), Beschäftigungen (z.B. Schneiden mit Schere), Aktivitäten (z.B. Erlernen des Umgangs mit Messer und Gabel bei den Mahlzeiten) oder Betätigungen (z.B. Klettern auf einem hohen Klettergerüst) mehr beaufsichtigt werden müssen als wenn sie beispielsweise friedlich im Sandkasten spielen oder konzentriert Bilder malen.
(4) Situative Faktoren: Auch die jeweilige Situation in der Gruppe und der Interaktionsverlauf zwischen Kindern sind zu beachten. Beispielsweise sind erhöhte Anforderungen an die Aufsichtsausübung zu stellen, wenn die Kindergruppe besonders aufgedreht und aggressiv ist ("Montagssyndrom") oder sich gerade ein Streit zwischen mehreren Kindern anbahnt.
(5) Räumliche und örtliche Gegebenheiten: Ein Mehr an Aufsicht ist nötig, wenn es in den Innen- oder Außenräumen des Kindergartens besondere Gefahrenquellen gibt (z.B. brennende Kerzen, Arbeiten an der Elektroinstallation, kaputtes Spielgerät im Garten). Dasselbe gilt für den Fall, dass die Kindergruppe die Einrichtung verlässt und mit Gefahren wie Straßenverkehr, ungesichertem Bachlauf, Baustellen usw. konfrontiert wird.
(6) Person der Fachkraft: Die Erzieherin muss ihre eigenen Fähigkeiten und Berufserfahrungen berücksichtigen. Beispielsweise wird von einer Berufsanfängerin ein eher übervorsichtiges Verhalten erwartet, darf eine Nichtschwimmerin nicht die Kinder bei einem Schwimmbadbesuch beaufsichtigen, muss sich eine gehbehinderte Erzieherin mehr in der Nähe der Kinder aufhalten, damit sie bei Gefahr schnell genug eingreifen kann.
(7) Zumutbarkeit der an die Fachkraft gestellten Anforderungen: Beispielsweise darf von einer Berufsanfängerin nicht dasselbe verlangt werden wie von einer erfahrenen Fachkraft. Eine Erzieherin darf nicht überfordert werden, indem von ihr verlangt wird, auf Dauer eine zu große Gruppe oder in gefährlichen Situationen zu viele Kinder zu betreuen. Auch dürfen die Anforderungen nicht vernünftigen pädagogischen Erwägungen zuwiderlaufen.
(8) Gruppengröße: "Der haftungsrechtlichen Rechtsprechung und Praxis kann man keine generelle, einigermaßen definitive Antwort entnehmen. Nur zur Aufsicht bei Ausflügen, Wanderungen, Besichtigungen und anderen externen Unternehmungen hat sich die Relation zehn Kinder auf eine sozialpädagogische Fachkraft (beim Schimmbadbesuch auch zehn auf zwei) als einigermaßen gesicherte Richtzahl herausgebildet" (Schmitt-Wenkebach 1994, S. 23). Auf jeden Fall sollte die Gruppengröße auf Dauer nicht gegen die jeweiligen Landesrichtlinien verstoßen. Generell ist es aber einer Fachkraft zumutbar, für kürzere oder längere Zeit die Kinder einer anderen Gruppe mitzubetreuen. Es wird dann von ihr erwartet, dass sie z.B. auf risikoreiche Aktivitäten verzichtet und rigoroser Aufsicht führt.
Deutlich wird, dass die Aufsichtspflicht keine Dauerbeobachtung und ständige Verhaltenskontrolle der Kinder verlangt. Auch sollen Gefahren und Risiken nicht von ihnen ferngehalten werden - sofern diese von ihrem Entwicklungsstand und ihren Fähigkeiten her mit ihnen umgehen können. Schließlich gehört es auch zum Auftrag des Kindergartens, Kinder zu einem kompetenten Hantieren mit Schere, Messer, Gabel, Hammer u.a. sowie zu einem verantwortungsbewussten Handeln in gefährlichen Situationen zu erziehen. Kinder sollen schrittweise an Gefahren herangeführt werden und das richtige Verhalten möglichst selbständig erlernen, also ohne Eingreifen der Erzieherin.
Nach Münder (1991, S. 102) ist die Aufsichtspflicht "nur Nebenpflicht, vorrangig ist die Erziehung der Minderjährigen zur Selbständigkeit und Mündigkeit". Von zentraler Bedeutung sind hier § 1 Abs. 1 SGB VIII (= Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG) - auch als Ausfluss von Artikel 2 Abs. 1 GG (= Grundgesetz) - und § 9 Nr. 2 SGB VIII. Kinder haben ein Recht auf Erziehung zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung, auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Das verbietet Bevormundung, Gängelei und fortwährende Kontrolle.
§ 1 Abs. 1 SGB VIII
Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
§ 9 Nr. 2 SGB VIII
Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben sind ...
2. die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln ... zu berücksichtigen, ...
Artikel 2 Abs. 1 GG
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, so weit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Die kindliche Entwicklung, der Erziehungsprozess und die pädagogischen Aktivitäten sollten also immer im Vordergrund stehen; Aufsichtsaspekte dürfen nur Korrektive sein: "Das Recht kann und soll nicht pädagogische Inhalte bestimmen, sondern nur die Grenzen erzieherischer Gestaltungsräume aufzeigen, deren Überschreitung nicht mehr mit den berechtigten Schutzinteressen des Kindes oder der Allgemeinheit zu vereinbaren sind" (Sahliger 1994, S. 8).
Formen der Aufsichtsführung
Dem Vorrang der Erziehung kommt entgegen, dass es unterschiedlich intensive Formen der Aufsichtsführung gibt. Die sozialpädagogische Fachkraft muss also nur dasjenige Mittel ergreifen, das vor dem Hintergrund der gerade beschriebenen Kriterien von seiner Einflussstärke her der jeweiligen Situation entspricht. Sie kann wählen zwischen:
(1) Informieren, Belehren, Ermahnen: Die Erzieherin muss die Kinder über mögliche Gefahren und deren Verhinderung klar und verständlich informieren, zum richtigen Umgang mit gefährlichen Objekten anleiten und Verhaltensweisen lehren, mit denen risikoreiche Situationen (z.B. im Straßenverkehr) gemeistert werden können. Sie muss sich vergewissern, ob sie verstanden wurde. Wichtig ist auch das eigene Vorbild.
(2) Ge- und Verbote: Ein exakt umschriebenes Verhalten wird verlangt bzw. untersagt. Dies ist z.B. notwendig, wenn Kinder Belehrungen und Warnungen nicht beachtet haben, wenn sie zu wenig Einsicht zeigen, wenn sie bestimmte Verhaltensweisen noch nicht beherrschen oder wenn der Schadenseintritt sehr wahrscheinlich ist. Verbote sollten eher selten aufgestellt werden, da sie die Entwicklung von Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein erschweren.
(3) Überwachen, Kontrollieren: Auch Kleinkinder müssen nicht auf Schritt und Tritt beobachtet werden; dies ist weder der Erzieherin zumutbar noch pädagogisch zulässig. Die Fachkraft muss sich also nicht ständig im Raum bzw. in der Nähe der Kinder aufhalten oder fortwährend in Blickkontakt bleiben. Zumeist reicht ein relativ häufiges, stichprobenartiges Kontrollieren. Entsprechend der vorgenannten Kriterien sind aber intensivere Überwachung und Kontrolle von (einzelnen) Kindern notwendig, wenn diese sich z.B. an frühere Belehrungen und Verbote nicht gehalten haben, mit gefährlichen Objekten spielen oder sich in einer risikoreichen Situation (Klettern, Straßenverkehr usw.) befinden.
(4) Eingreifen: Ist ein Kind oder eine dritte Person gefährdet bzw. ist ein Sachschaden zu erwarten, dann muss die Erzieherin verbal oder auch unter körperlichem Einsatz eingreifen und die Gefahrenquelle entfernen (z.B. durch Wegnehmen, Verschließen, Abbrechen des Spiels, Trennen sich prügelnder Kinder).
Hundmeyer (1995 a) fasst zusammen: "Einem Erzieher kann nicht begründet der Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung gemacht werden, falls er sich über die persönliche Verfassung des Kindes und über die sonstigen Umstände, die für die Aufsichtsführung Bedeutung haben, informiert, das Kind in einer seinem Alter und seiner Entwicklung gemäßen Weise auf mögliche Gefahren aufmerksam macht, es vor falschem Verhalten warnt und sich vergewissert, dass das Kind seine Warnungen und Ermahnungen verstanden hat und befolgt. Schließlich muss er das Kind in einer Weise überwachen, wie dies einem verständigen Aufsichtspflichtigen unter Abwägung pädagogischer Zielsetzungen und Risiken für das Kind und andere vernünftigerweise zugemutet werden kann. Notfalls muss er zum Schutz des Kindes und anderer auch eingreifen" (S. 26).
Beginn und Ende der Aufsichtspflicht
Prinzipiell können Beginn und Ende der Aufsichtspflicht im Aufnahmevertrag, in der Kindergartenordnung oder einer gesonderten Vereinbarung festgelegt werden. Ist dies nicht geschehen, gilt das, was stillschweigend zwischen Kindergarten und Eltern aus der Sicht eines objektiven Dritten - der Allgemeinheit - als vereinbart angesehen werden kann. Dies kann ab Betreten bzw. Verlassen des Kindergartengrundstücks, des Gebäudes oder des Flurs/des Vorraumes zum Gruppenraum (Letzteres insbesondere bei größeren Einrichtungen mit mehreren Gruppen) sein.
Kinder, die vor Beginn der offiziellen Öffnungszeit in den Kindergarten kommen oder gebracht werden, stehen noch nicht unter der Aufsicht der Fachkräfte. Werden sie von den Eltern einfach vor der verschlossenen Kindergartentür abgestellt, verletzen diese möglicherweise ihre Aufsichtspflicht. Sind Mitarbeiterinnen dann schon anwesend und äußere Umstände wie das Verkehrsgeschehen oder die Witterungsverhältnisse Gefahr bringend, wird jedoch erwartet, dass sie das Kind schon vorzeitig in ihre Obhut nehmen.
Generell endet die Aufsichtspflicht mit der Übergabe des Kindes an die Personensorgeberechtigten (Eltern). Sie tritt nicht wieder ein, wenn der Abholer z.B. das Kind noch auf dem Kindergartengelände (unbeaufsichtigt) spielen lässt, selbst wenn dies während der Öffnungszeit der Fall ist. Die Eltern können auch eine dritte Person beauftragen, das Kind zu bringen oder abzuholen, wobei deren Berechtigung vorab dem Kindergartenpersonal mitgeteilt werden sollte. Handelt es sich um einen Geschwisterteil bzw. Minderjährigen, sollten sich die Fachkräfte von seiner Eignung überzeugen. Generell darf das Kind einem Elternteil oder sonstigen Abholer nicht überlassen werden, wenn ihm von diesem Gefahr droht (z.B. bei Trunkenheit). Dann sollte der andere Elternteil bzw. die Eltern, notfalls das Jugendamt oder die Polizei, eingeschaltet werden. Droht der Abholer mit Gewaltanwendung, muss sich das Kindergartenpersonal aber nicht dieser Gefahr aussetzen. Dasselbe gilt übrigens auch, wenn ein nicht sorgeberechtigter (getrennt lebender, geschiedener) Elternteil das Kind zu entführen versucht. Ansonsten kann ein getrennt lebender Elternteil dem Kindergartenpersonal nicht verbieten, das Kind dem anderen Elternteil mitzugeben - sofern das Familiengericht keine entsprechende vorläufige Entscheidung über die Ausübung der elterlichen Sorge getroffen hat.
Wird ein Kind nicht rechtzeitig abgeholt, verletzen die Eltern ihre vertraglichen Pflichten. Der Kindergarten muss in diesem Fall aber weiterhin die Beaufsichtigung des Kindes übernehmen bzw. sicherstellen. Die Erzieherin sollte zunächst versuchen, die Eltern bzw. den üblichen Abholer telefonisch zu erreichen. Gelingt dies nicht und kann keine Fachkraft noch länger in der Einrichtung bleiben, kann das Kind in die Obhut des Hausmeisters oder der Putzfrau übergeben werden, sofern diese die Verantwortung übernehmen wollen. Alternativ kann es von einer Erzieherin mit nach Hause genommen oder einer anderen, dem Kind bekannten Mutter mitgegeben werden. Schließlich kann es zur Wohnung seiner Eltern gebracht und z.B. bei einer Nachbarin abgegeben werden; es darf aber nicht unbeaufsichtigt vor der Wohnungstür zurückgelassen werden. In jedem dieser Fälle muss eine entsprechende Notiz für die Eltern an der Kindergartentür angebracht werden.
Konsequenzen der Aufsichtspflichtverletzung
Aufsichtspflichtverletzungen können strafrechtliche, zivilrechtliche und/oder arbeitsrechtliche Folgen haben. Die Verletzung der Aufsichtspflicht an sich ist nicht strafbar. Nur wenn deswegen ein Kind oder ein Dritter (schwer) verletzt oder gar getötet wurde, wird in der Regel eine Ermittlung durchgeführt - und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob der Verletzte bzw. die Verwandten des Getöteten ein Interesse an einer Bestrafung des Täters haben. Dann muss die Staatsanwaltschaft der Erzieherin eine (grob) fahrlässige oder vorsätzliche Verletzung ihrer Aufsichtspflicht nachweisen. Strafrechtliche Verfahren mit rechtskräftiger Verurteilung der Fachkraft sind sehr selten.
Zivilgerichte werden hingegen nicht von sich aus tätig, sondern müssen von den Geschädigten bzw. deren gesetzlichen Vertretern angerufen werden. Dies kann zum einen nach § 823 BGB der Fall sein, wenn ein Kind selbst einen Schaden erleidet - wobei die Verletzungshandlung der Erzieherin in einem Unterlassen der notwendigen Aufsicht besteht -, oder zum anderen nach § 832 BGB, wenn ein Kind aufgrund mangelnder Beaufsichtigung einem Dritten einen Schaden zufügt. Die Fachkraft haftet für den eingetretenen Schaden - ein Kind unter sieben Jahren haftet nach § 828 Abs. 1 BGB übrigens nie -, wenn die Aufsichtspflichtverletzung vorsätzlich oder (grob) fahrlässig erfolgte. Fahrlässigkeit ist gegeben, "wenn eine andere, ausreichend ausgebildete, entsprechend erfahrene Kollegin bei Anspannung der gebotenen und ihr in dieser Situation auch möglichen Aufmerksamkeit anders gehandelt und den schädigenden Erfolg vermieden hätte" (Münder 1991, S. 106). Im Gegensatz zu strafrechtlichen Verfahren muss bei zivilrechtlichen der Erzieherin aber die Aufsichtspflichtverletzung nicht nachgewiesen werden. Vielmehr kommt es zu einer Umkehr der Beweislage: Die Fachkraft muss sich selbst entlasten und glaubhaft machen, dass sie ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen ist. Durch die Formulierung der entsprechenden Rechtsgrundlage - insbesondere § 832 BGB - hat der Gesetzgeber klargestellt, dass seines Erachtens ein eingetretener Schaden in aller Regel auf unzureichende Aufsichtsführung beruht. Die Fachkraft muss also die Vorannahme entkräften oder nachweisen, dass der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre.
§ 823 BGB
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem Anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
§ 832 BGB
(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.
(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.
Bei einer Aufsichtspflichtverletzung müssen entstandene Personen-, Sach- oder Vermögensschäden wieder gutgemacht und unter Umständen Schmerzensgeldansprüche erfüllt werden. In der Regel werden die Kosten von der gesetzlichen Unfallversicherung oder - sofern vorhanden - der Betriebshaftpflichtversicherung des Trägers bzw. der Berufshaftpflichtversicherung der Erzieherin übernommen - außer die Aufsichtspflichtverletzung erfolgte vorsätzlich oder (dies gilt nur für die gesetzliche Unfallversicherung) grob fahrlässig. Haftpflichtversicherungen übernehmen auch gesetzliche und außergerichtliche Kosten bei Rechtsstreit oder Strafverfahren.
Oft ist aber nicht nur eine Fachkraft verantwortlich: "Waren mehrere Erzieher an der Aufsichtspflichtverletzung beteiligt, haften sie als sog. Gesamtschuldner (§§ 840, 426 BGB). Dies bedeutet, dass jeder dem Geschädigten zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet ist; allerdings kann der Schadensersatz nur einmal gefordert werden. Hat also von zwei Erziehern einer den gesamten Schadensersatz geleistet, hat der Geschädigte gegen den anderen keinen Anspruch mehr. Im Innenverhältnis sind die Gesamtschuldner untereinander zum Ausgleich verpflichtet" (Sahliger 1994, S. 54).
In machen Fällen haftet auch die Kindergartenleiterin mit, wenn sie gegen ihre Pflichten verstoßen hat - also z.B. wenn sie die Aufsichtsführenden unzureichend eingewiesen, belehrt oder unterstützt hat, oder wenn sie bei offensichtlichem Fehlverhalten derselben nicht eingeschritten ist. Ähnliches gilt für den Träger des Kindergartens: Er haftet mit, wenn er beispielsweise unqualifiziertes Personal einstellt, seine Mitarbeiterinnen ungenügend angeleitet hat oder überwacht, sie z.B. durch auf Dauer zu große Gruppen überfordert oder ihnen relevante Informationen (z.B. über Risiken) nicht gegeben hat. Schließlich haftet der Träger laut §§ 278, 831 BGB grundsätzlich für Pflichtverletzungen seines Personals mit: Insbesondere Schäden, die weder aufgrund einer vorsätzlichen noch einer grob fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung seiner Mitarbeiterinnen entstanden, werden dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugerechnet und sind von diesem allein zu tragen. "Das Bundesarbeitsgericht hält es nämlich für unbillig, einen Arbeitnehmer in jedem Fall haften zu lassen, wenn dessen Tätigkeit leicht zu derartigen Schäden führen kann oder die Gefahr besteht, dass der verursachte Schaden sehr groß ist und in keinem Verhältnis zum Arbeitseinkommen steht" (Hundmeyer 1995 b, S. 83)
Unabhängig davon, ob ein Schaden eingetreten ist, können Aufsichtspflichtverletzungen auch arbeitsrechtliche Folgen haben. Diese reichen von der formlosen Belehrung über Verweis und Abmahnung bis hin zur ordentlichen und in besonders schwerwiegenden Fällen sogar fristlosen Kündigung. Die Sanktion muss aber in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Pflichtverletzung stehen.
Weiterführende Literatur
Groner, F.: Die Aufsichtspflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen. Faltblatt. München: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V., o.J.
Hundmeyer, S.: Aufsichtspflicht in Kindertageseinrichtungen. Rechtlich begründete Antworten auf Fragen der Praxis zur Aufsichtspflicht, Haftung und zum Versicherungsschutz. Kronach: Carl Link, 3. Aufl. 1995 a
Hundmeyer, S.: Recht für Erzieherinnen und Erzieher. München: TR-Verlagsunion, 15. Aufl. 1995 b
Jacobi, V.: Rechtsfragen im Kindergartenalltag. Für Erzieher, Träger, Eltern. Donauwörth: Auer, 6. Aufl. 1993
Münder, J.: Beratung, Betreuung, Erziehung und Recht. Handbuch für Lehre und Praxis. Münster: Votum, 2. Aufl. 1991
Preissing, C./Prott, R.: Rechtshandbuch für Erzieherinnen. Berlin: FIPP-Verlag, 2. Aufl. 1993
Sahliger, U.: Aufsichtspflicht im Kindergarten. Münster: Votum 1994
Schmitt-Wenkebach, R.: Aufsichtspflicht in Tageseinrichtungen für Kinder. Bonn: Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 1994
Wichtige Wiederholungsfragen und Aufgaben( bitte unbedingt für die nächste Klausur lernen):
Reproduktionsfragen:
1). Was ist Aufsichtspflicht ?
2). Wo ist die Aufsichtspflicht geregelt ?
3). Wie erfülle ich die Aufsichtspflicht ? Nenne Sie vier Pflichten, die hierzu gehören.
4). Nennen und erklären Sie acht Kriterien zur Aufsichtspflicht!
5). Nennen und erörtern Sie vier Formen der Aufsichtspflicht!
6. ). Beschreiben Sie mögliche Konsequenzen der Aufsichtspflichtverletzung!
7). Nennen Sie wichtige Gesetzestexte ( Paragraphen= §§), die Aussagen zur Aufsichtspflicht enthalten. Geben Sie kurz mit eigenen Worten den Inhalt wieder.
8.) Erörtern Sie den zeitlichen Beginn und Ende der Aufsichtspflicht in einem Kindergarten!
Anwendungsaufgaben.
Fallbeispiele zum Thema Aufsichtspflicht Recht
Fallbeispiel 100: Die Leiterin eines zweigruppigen Kindergartens besucht um 10 Uhr eine von einer Erziehungsberatungsstelle anberaumten Fortbildungsveranstaltung, obwohl die Gruppenleiterin der zweiten Gruppe erkrankt ist und demzufolge nur die Hilfskraft und die gerade frisch eingestellte Berufspraktikantin anwesend sind. Während ihrer Abwesenheit passiert nichts.
Aufgabe: Hat die Leiterin im Fallbeispiel 100 ihre Aufsichtspflicht verletzt? Begründen Sie Ihre Meinung?
Fallbeispiel 101: In einer Kindertagesstätte benutzen die Kinder beim Kommen und Gehen den Hauptflur des Gebäudes. Die Erzieherin der Gruppe A geht über den Flur und sieht. wie vier Kinder der Gruppe 8 ein fünftes Kind der Gruppe C am 8oden festhalten und es verprügeln.
Aufgabe: Ist die Erzieherin der Gruppe A in diesem Fallbeispiel den Kindern aus Gruppe B gegenüber auch aufsichtspflichtig? Wie müsste sie handeln?
Fallbeispiel 102: Die Gruppe A und die Gruppe 8 spielen unter Aufsicht ihrer beiden Erzieherinnen auf dem Spielplatz des Kindergartens. Einige Kinder der Gruppe A machen lieber bei dem Kreisspiel der Gruppe B mit, einige Kinder der Gruppe 8 lieber beim Rutschen und Wippen, den Spielen der Gruppe A.
Aufgabe: Beschreiben Sie die rechtliche Situation in diesem Fallbeispiel!
Fallbeispiel 103: Den Kindern in der Hortgruppe einer Tageseinrichtung ist es erlaubt, Freunde mit in die Einrichtung zu bringen. Sie sollen das der Gruppenerzieherin nach Möglichkeit ankündigen und müssen auf jeden Fall bei ihrem Eintreffen sofort Bescheid sagen, dass sie jemanden mitgebracht haben.
Fallbeispiel 104: Frau B. ist noch unentschlossen, ob sie ihr Kind zum Kindergarten schicken soll oder nicht. Sie will sich erst nach einer Probeteilnahme entschließen. Die Leiterin des Kindergartens ist mit dem Probebesuch einverstanden
Fallbeispiel 105: Eine Erzieherin möchte zur Erfüllung ihrer Erziehungspflicht den Kindern die Besichtigung eines Omnibusbahnhofes ermöglichen: sie muss aber andererseits auch die Kinder so beaufsichtigen, dass weder die Kinder selbst noch Dritte durch die Kinder geschädigt werden.
Aufgabe: Lesen Sie dieses Fallbeispiel und diskutieren Sie in der Klasse anschließend folgende Fragestellung:
Welche Aspekte zur Erfüllung der Erziehungspflicht und welche zur Erfüllung der Aufsichtspflicht müssten im Fallbeispiel 105 einander gegenüber gestellt werden hinsichtlich der Entscheidung, ob die Besichtigung durchgeführt wird oder nicht? Begründen Sie dann Ihre Antwort.
Merksatz:
Es gibt spezielle Vorschriften für Tageseinrichtungen für Kinder, Richtlinien für Kindergärten, zum Beispiel die vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, aber auch aus baurechtlichen und feuerpolizeilichen Vorschriften, Aus ihnen ergibt sich die Verantwortung dafür, dass die Einrichtung "verkehrssicher" ist.
Dem Träger obliegt die Verkehrssicherungspflicht .
Fallbeispiel 106: Ein städtisches Jugendamt veranstaltete während der Sommerferien für Kinder von 6 bis 12 Jahren ein Ferienspielplatzprogramm im Freien und in Räumen. Die Veranstaltungen standen unter Aufsicht von Studenten und Oberschülern, die vom Jugendamt eingesetzt waren. Dies hatte das Jugendamt in einem Faltblatt angekündigt. In einer Schulaula
rutschte eine Gruppe von 10 bis 12 Kindern von Bänken herunter, die an einer Seite in die Sprossenwand in einer Höhe von 70 bis 120 cm eingehängt waren.
Der Fußboden der Aula bestand aus einem mit PVC-Platten belegten Steinfußboden Turnmatten standen nicht zur Verfügung, Der Gruppenleiter ermahnte die Kinder laufend, nicht so wild zu sein und wies sie auf die Gefahr eines Absturzes hin. Als er gerade nicht bei der Gruppe war, stürzte ein Sechsjähriger Junge von der Bank und verletzte sich am Kopf. (Siehe Urteil des Oberlandesgerichtes Bremen vom 7.9.1977, VersR 1978, 525.)
Aufgabe: Besprechen Sie das Fallbeispiel 106 mit der Fragestellung: Nach welchen Entscheidungskriterien ist das Aufsichtsverhalten des Gruppenleiters zu bewerten? Wie würden Sie an Stelle eines Richters bzw. einer Richterin entscheiden?
Fallbeispiel 107: In einem Kindererholungsheim wird an einem Sommermorgen auf dem Spielplatz ein Frühstück eingenommen. Es gibt ein Fruchtsaftgetränk zu trinken. Als die Kinder und die Erzieher anschließend wieder in die Räume zurückgehen, bleibt ein volles Glas stehen. Einige Zeit später laufen einige Kinder wieder auf den Spielplatz nach draußen. In einem unbeobachteten Augenblick trinkt ein fünfjähriges Kind aus dem Glas, in das sich inzwischen eine Wespe gesetzt hat.
Aufgabe: Wie beurteilen Sie das Fallbeispiel 107? Haben die Erzieher die Aufsichtspflicht verletzt?
Fallbeispiel 108: Auf dem Gelände eines Hortes gibt es neben zwei Sprossenbögen und einer Rutsche auch einen knorrigen Baum. Dieser wird von den Kindern zum Klettern lieber als die Spielgeräte benutzt. Unter dem Baum ist weicher Sandboden.
Fallbeispiel 109: In einem Privatkinderheim in einem Nordseebad spielen eines Nachmittags vier Kinder im Alter von 3, 4 und 5 Jahren auf dem Spielplatz im Hof des Kinderheims. Die Erzieherin kam gelegentlich auf den Spielplatz, um nach den Kindern zu sehen. dabei bemerkte sie, dass sich zwei Kinder um die Schaufel zankten. In der übrigen Zeit hielt sie sich meistens bei der Ehefrau des Betreibers des Kinderheims in der Küche auf, von wo sie keinen Blick auf den Spielplatz hatte. In dieser Zeit verletzte der Dreijährige beim Streit um die Schaufel, mit der er im Sand gespielt hatte, den Vierjährigen so am Auge, dass es entfernt werden musste.
Fallbeispiel 110: Eine Mutter hatte ihre vierjährige Tochter am Nachmittag auf den Spielplatz im Hof des Häuserblocks zum Spielen geschickt und sie angewiesen, auf dem Spielplatz zu bleiben. Innerhalb einer halben Stunde hat die Mutter zweimal kontrollier1, ob das Kind noch da war. Unbemerkt von der Mutter war es dann mit dem Dreirad eines Spielgefährten auf den Gehweg der Straße gefahren und hatte dabei eine ältere Dame angefahren. die sich dabei komplizierte Brüche des Unterarmes und des Oberschenkelhalses zuzog. Das Fahren mit dem Dreirad hatte die Mutter verboten, da der Spielplatz dafür nicht geeignet war Sie hatte der Tochter erklärt, dass das Fahren auf der Straße zu gefährlich sei.
Fallbeispiel 111: In einer Tageseinrichtung für Kinder hatten einzelne Kinder einer Schulkindergruppe die Erlaubnis, im Garten zu spielen, wenn sie ihre Aufgaben beendet hätten. Bei einem Weg durch den Garten sah die Leiterin einen Zehnjährigen mit dem Stock im Blumenbeet herumstochern. Etwas später sandte eine Erzieherin einen Siebenjährigen mit einer Zigarrenkiste mit Papierschnitzeln zum Mülleimer. Als er auf dem Rückweg hinter einem Mauerdurchbruch hervorkam (überraschend für den Zehnjährigen).
traf ihn der von dem Zehnjährigen nach einer Eiche geworfene Stock ins Auge.
Fallbeispiel 112: Im Kindergarten sind in zwei der drei Gruppen neben den Erzieherinnen in einer der Gruppen eine Berufspraktikantin und in der anderen Gruppe eine Vorpraktikantin beschäftigt. Die Erzieherin, bei der die Vorpraktikantin beschäftigt ist, meldet sich morgens krank. Die Leiterin des Kindergartens bittet die Vorpraktikantin an diesem Tag mit der Gruppe alleine zu arbeiten. Die Leiterin schaut ab und zu in die Gruppe hinein.
An diesem Tag kommt kein Kind dieser Gruppe zu Schaden.
Fallbeispiel 113: Eine Elterninitiative in einem ländlichen Gebiet ließ ihre Kinder durch ein von ihnen beauftragtes Busunternehmen zum Kindergarten bringen. Die Busfahrerin ließ die Kinder regelmäßig an der Eingangstür der Einrichtung auf einem frei benutzbaren Parkplatz aussteigen. Sie öffnete zum Aussteigen nur die vordere Tür des Busses, um Drängeleien zu vermeiden. Die Kinder begaben sich auch immer auf dem kürzesten Wege in den Kindergarten. Eines Tages geriet ein vier Jahre und zwei Monate alter Junge beim Abfahren des Busses unter die Hinterreifen, ohne dass die Busfahrerin dies bemerken konnte. Eine der Erzieherinnen des Kindergartens hielt sich immer in der Nähe der Eingangstür im Hausinnern auf. um die Kinder in Empfang zu nehmen.
§ 9 der Kindergartenordnung dieser Einrichtung bestimmte: "Für den Weg zum und vom Kindergarten sind die Eltern verantwortlich. Für die Zeit vor Öffnung und nach Schließung des Kindergartens übernimmt die Leiterin keine Verantwortung."
Fallbeispiel 114: Die Leiterin eines zweigruppigen Kindergartens besucht um 10 Uhr eine von einer Erziehungsberatungsstelle anberaumten Fortbildungsveranstaltung, obwohl die Gruppenleiterin der zweiten Gruppe erkrankt ist und demzufolge nur die Hilfskraft und die gerade frisch eingestellte Berufspraktikantin anwesend sind. Anders als im Fallbeispiel 100 ausgeführt, kommt durch das Spiel der Kinder ein Kind zu Schaden.
Lösungen
Im Fallbeispiel 101: ist die Erzieherin der Gruppe A in dieser Situation auch den gruppenfremden Kindern gegenüber zur Aufsichtspflicht verpflichtet. Deshalb wird von ihr verlangt. in das Geschehen einzugreifen und sich nicht mit der Begründung. es seien nur Kinder anderer Gruppen beteiligt, an der Prügelei vorbeizuschleichen.
Für das Fallbeispiel 102: gilt, dass, wenn die Gruppenerzieherinnen die jeweils "fremden'" Kinder mitspielen lassen, sie sie ebenso beaufsichtigen müssen wie die "eigenen".
Oben wurde ausgeführt, dass die Tageseinrichtung und ihr Personal durch Vertrag mit den Eltern die Aufsichtspflicht übernimmt. Gilt das auch für Kinder, die nicht regulär in der Einrichtung angemeldet sind, also für sogenannte Besuchs- und "Probekinder"?
Im Fallbeispiel 103: hat die Erzieherin auch dann die Aufsichtspflicht zu übernehmen, wenn kein Vertrag der Eltern der mitgebrachten Freunde mit der Einrichtung besteht.
Dadurch, dass sie das fremde Kind am Nachmittag mit in die Einrichtung aufnahm.
hat sie die Aufsichtspflicht auch tatsächlich übernommen.
Für das Fallbeispiel 104 gilt das, was auch für die anderen Beispiele ausgeführt wurde. Die Einrichtung und damit die Erzieher übernehmen auch für sogenannte Probekinder die Aufsichtspflicht. Unerheblich ist hierbei, ob die probeweise Aufnahme durch die Leiterin mit oder ohne Zustimmung des Trägers erfolgte. Entweder hat sie die Aufnahme durch Bevollmächtigung seitens des Trägers vorgenommen oder sie hat die Aufsichtspflicht tatsächlich aufgrund ihrer Zustimmung übernommen.
Im Fallbeispiel 105 muss überlegt werden, wie die Erzieherin die Kinder beaufsichtigen muss, ohne die Erziehungspflicht zu verletzen; anderseits wie sie ihre Kinder erziehen muss. ohne die Aufsichtspflicht zu verletzen. Die Erzieherin in unserem Fallbeispiel wäre falsch beraten, wenn sie von der Besichtigung des Omnibusbahnhofes absehen würde, nur weil diese Unternehmung generell mehr Schadensgefahren mit sich bringt als ein Spiel im Kindergarten. Falsch wäre auch, den Busbahnhof zu besuchen, ohne an die Risiken zu denken. Eine rechtlich wie pädagogisch richtige Entscheidung wäre, wenn die Erzieherin die Besichtigung so vorbereitet und durchführt, dass das Schadensrisiko deutlich verringert ist.
Lösung für Fallbeispiel 106
Das Gericht hat im Fallbeispiel 106 eine Aufsichtspflichtverletzung des Betreuers verneint, aber eine Haftung der Gemeinde wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angenommen. Der Träger hatte es versäumt, Turnmatten zur Verfugung zu steilen. Dies war die unfallverursachende Gefahrensituation. Dazu wäre der Träger aber verpflichtet gewesen, um die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen. Das Gericht stellte fest. dass dies dem Träger zumutbar gewesen wäre. Eine Aufsichtspflichtverletzung der Mitarbeiter kam nicht in Betracht, weil sie auf die Gefahren eines Absturzes hingewiesen hatten und die Kinder laufend ermahnt hatten, nicht so wild zu sein.
Der Träger hat eine weitergehende Verpflichtung als der Erzieher. Erzieher haften nicht für Versäumnisse des Trägers. Aufgabe der Erzieher ist aber, den Träger auf mögliche Gefahrenquellen hinzuweisen. Nötigenfalls muss er dies schriftlich tun und darauf aufmerksam machen, dass er nicht länger die Aufsichtspflicht erfüllen kann, wenn der Schaden nicht repariert wird oder die Gefahrenquelle nicht anders beseitigt wird. Der schriftliche Hinweis wird dann die Erzieher in einem möglichen Schadensfall entlasten.
Verkehrssicherungspflicht und Aufsichtspflicht lassen sich oft nicht scharf trennen.
Fallbeispiel 107:
Wir unterstellen, dass der Spielplatz in seinem allgemeinen Zustand in Ordnung ist und es keine Bedenken gibt, dass Kinder hinauslaufen, ohne dass gleich eine Erzieherin hinterherläuft. In unserem Fallbeispiel zeigt sich aber eine Verletzung der Sorgfaltspflicht darin, dass das Fruchtsaftglas auf dem Spielplatz stehen blieb, weil im Sommer die Möglichkeit, dass sich eine Wespe in das Glas setzt nahe liegt. Erziehern ist auch die Verpflichtung übertragen für die Sicherheit des Spielplatzes zu sorgen.
Dazu gehört, dass sie sicherstellen, dass keine Gefahrenquellen geschaffen werden und dass sie mögliche Gefahrenquellen entfernen. Ihnen ist zuzumuten, einmal über den Spielplatz zu gehen. und bevor die Kinder nach draußen gehen, mögliche Gefahren zu beseitigen
Der Bestimmungsfaktor "örtliche Gegebenheiten" erhält insbesondere bei Ausflügen, Wanderungen und Besichtigungen ein besonderes Gewicht. Die Besonderheit der Umgebung erfordert entsprechende Maßnahmen zu Sicherung der Aufsichtspflicht. Erzieher müssen deshalb die Gegebenheiten kennen. insbesondere die Gefahrenquellen. Es ist deshalb zu empfehlen, vorher eine Erkundigung zu machen, eventuell einheimische Ortskundige zu befragen oder eine Vorbesichtigung zu unternehmen.